Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 14. April 2014
Briefe an den lieben Gott
Oskar ist erst zehn, aber er weiss, dass er sterben wird. "Eierkopf" nennen ihn
die anderen Kinder im Krankenhaus. Doch das ist nur ein Spitzname und tut nicht weiter
weh. Schlimmer ist, dass seine Eltern Angst haben, mit ihm über die Wahrheit zu reden.
Oskar sieht ihre traurigen Augen und merkt, wie sie ihm immer wieder ausweichen. Er
versteht ja, dass sie traurig sind, er ist es ja auch manchmal. Aber jetzt lebt er
schliesslich noch, da will er auch fröhlich sein und Blödsinn machen können, wie alle
anderen Kinder auch.
Zum Glück gibt es Oma Rosa, so hat er sie genannt, nach dem rosa Kittel, den hier im
Krankenhaus die Männer und Frauen vom Besuchsdienst tragen.
Oma Rosa ist schon alt, sie hat ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut, dass
sie eigentlich gar nicht mehr beim Besuchsdienst mitmachen dürfte, wenn man ihr wirkliches
Alter wüsste.
Oskar wird sie nicht verraten, denn Oma Rosa ist prima. Sie hat ihm erzählt, dass sie als
junge Frau eine gefürchtete Catcherin war, die ihre Gegnerinnen mit links niederzwang.
Wann immer Oskar die Krankenhausatmosphäre nicht mehr leiden mag, bittet er Oma Rosa, von
einem ihrer Kämpfe zu berichten. Wenn sie erzählt, dann reisst es Oskar mit.
Das Beste aber ist, dass Oma Rosa keine Angst hat, mit ihm über die Wahrheit zu sprechen.
Er hat sie getestet, und sie ist nicht ausgewichen.
Sie hat ihn auch auf die Idee gebracht, über alles nachzudenken, was ihn bewegt, und es
aufzuschreiben, in Briefen an den lieben Gott.
(Aus: Eric-Emmanuel Schmitt, Oskar und die Dame in Rosa. Ammann Verlag, Zürich, 24. Aufl.
2005)
Lesen sie dieses Buch! Es lohnt sich! Und beginnen auch sie, Briefe mit dem, was sie
bewegt an den lieben Gott zu schreiben! Die Tage vor Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern
laden ganz besonders dazu ein!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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