Weg-Wort vom 19. August 2013
Vom Dasein des Engels und der Abwesenheit des Kreuzes
Hie und da geschieht es, dass sich Leute ärgern und sich in der
Bahnhofkirche Luft machen. Unlängst kam jemand vorbei und fragte nach dem
fehlenden Kreuz in der Kapelle. Ein anderer ärgerte sich über den Engel von
Niki de Saint-Phalle. Zum Engel kann ich sagen, dass ich mich darüber freue,
dass ein so grosser Bote Gottes über der Bahnhofkirche schwebt. Ich könnte
mir auch denken, dass, er oder sie, Engel, sich freut, schützend über der
Bahnhofkirche zu schweben. Die Gestalt, sie gefällt sicher nicht jedem, aber
dass sie da ist, der Engel, das ist schon was.
Und dann noch: Kein Kreuz in der Kirche, das kann doch keine Kirche sein.
Das Kreuz fehlt den einen - mir nicht. Ich bin aufgewachsen ohne Kreuz an
den Wänden, habe mit den Jahren gelernt mein Kreuz zu tragen. Aber an der
Wand, ich brauche es nicht so sehr wie andere. Dass ich dabei immer darauf
aufmerksam mache, dass sowohl am Eingang, über dem Anliegen-buch, wie auch
auf der Kerze ein Kreuz zu finden ist, vereint mit den andern grossen
Glaubensgemeinschaften, genügt oft nicht. Es müsste herausragen, gleichsam
ein Blickfang, der hilft, Seele und Geist zu fokussieren. Das haben wir
nicht: Ich bin froh darüber. Es soll keine christliche Machtdemonstration
hier drinnen stattfinden. Die Bibel auf dem Ambo - bescheiden liegt sie,
dass wir darin lesen - sie genügt.
Ich kann die Enttäuschung über das fehlende Kreuz nachvollziehen, aber ich
frage mich doch, was Kirche ausmacht. Ist es die äussere Hülle oder die
Innenausstattung, die das religiöse Feuer am Brennen erhält und Kirche erst
zur Kirche werden lässt oder etwas ganz anderes: Paulus schreibt im 1. Brief
an die Korinther: Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und dass
Gottes Geist in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott
zerstören; denn der Tempel Gottes ist heilig - und das seid ihr.
Ich frage erneut: Was macht Kirche erst zur Kirche? So hat mich der Ärger zu
grundlegenden Fragen geführt und daran habe ich Freude.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
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