Weg-Wort vom 17. Januar 2011
Ein achtsamer Mensch
Er war stets auf Draht. Immer musste er noch schnell dies oder jenes
erledigen, sich da und dort kurz über das Neueste und Wichtigste
informieren. Wenn er mit einem redete, konnte er nicht lange zuhören,
sondern unterbrach das Gespräch, um dann nur noch von sich zu reden. Dabei
schweifte sein Blick unstet umher, wie wenn er etwas erwartete, wie wenn er
ja nichts von dem verpassen wollte, was ringsum geschah. Dann auf einmal
Herzinfarkt.
Seither ist er ein ganz anderer, ein vor allem achtsamer Mensch. Wenn er von
seiner Achtsamkeit spricht, tönt es ungefähr so:
Wichtig für mich ist, ganz bei dem zu sein, was gerade ist mit all meinen
Sinnen, mit dem Herzen und dem Verstand. Zum Beispiel: Die kühle Luft
bewusst wahrnehmen, wenn ich morgens das Haus verlasse. Den ersten
Sonnenstrahl auf meiner Haut geniessen. Die Türklinke in meiner Hand spüren
und erleben, wie es sich anfühlt, den Raum zu betreten.
Ich habe gelernt, immer wieder meinen Körper zu spüren und meine Gefühle
wahrzunehmen. Wenn ich mit meinen Gedanken abschweife, atme ich bewusst tief
ein und aus und bin mit meinen Atem. So kann ich mich jederzeit zu mir
zurückholen, mich spüren und ganz bei mir, ganz gegenwärtig sein. Ganz in
meiner Mitte fühle mich entspannt und ruhig.
Ausserdem ist es für mich wichtig, alles, was ich bewusst wahrnehme, nicht
zu bewerten, sondern nur neugierig zu beobachten und zu beschreiben. Früher
habe ich alles bewertet. Und weil vieles nicht meinen Wertmassstäben
entsprach, war ich stets innerlich verstimmt, verspannt, unruhig und
unzufrieden mit mir und der Welt.
Mit dem neugierig Beobachten und Beschreiben was ist kann ich vieles so
lassen, wie es ist, und bleibe dabei innerlich entspannt. Wenn ich aber doch
etwas verändern will, kann ich das mit klarerem Blick und grösserer
Offenheit angehen. Natürlich gelingt mir das noch viel zu wenig oft, aber
immer mehr.
Im Gespräch mit diesem achtsamen Menschen stelle ich fest, dass er ganz da
ist, wenn er redet oder aufmerksam zuhört. Seine Achtsamkeit berührt mich.
In seiner Gegenwart werde ich selbst ruhig und entspannt, fühle ich mich von
ihm gesehen, gehört und verstanden.
Wenn die Achtsamkeit etwas Schönes berührt, offenbart sie dessen Schönheit.
Wenn sie etwas Schmerzvolles berührt, wandelt sie es um und heilt es.
(Thich Nhat Hanh, buddhistischer Weisheitslehrer)
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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