Weg-Wort vom 31. Juli 2007
Macht und Ohnmacht
Vieles in unserer Welt läuft nicht so, wie wir es gerne hätten. In vielen
wichtigen Bereichen unseres Lebens wird über unsere Köpfe hinweg
entschieden, haben wir nichts zu sagen, müssen wir auslöffeln, was andere
eingebrockt haben.
Das Gefühl der Ohnmacht nimmt zu. Viele ziehen sich resigniert in ihr
privates Leben zurück. Manche machen die Faust im Sack. Einige geben nicht
auf und engagieren sich, wo immer sie können.
Trotz aller Ohnmacht das eine bleibt uns stets erhalten: die freie
Entscheidung, uns anderen Menschen zuzuwenden, ihnen in Offenheit und
Freundschaft zu begegnen, die Dinge und Menschen mit den Augen der Liebe zu
sehen. Nichts kann uns davon abhalten, keine Gesetze und keine Gewalt,
kein Wirschaftsboom und keine Armut.
Wer mit den Augen der Liebe wahrnimmt, für den zeigen sich Welt und Menschen
plötzlich verändert. Er sieht zum Beispiel hinter dem Drängeln im Verkehr
oder an der Zugstüre die kleinen menschlichen Egoismen und das Gehetztsein
unserer Zeit. Hinter dem männlich forschen oder weiblich aufreizenden
Auftreten die verdeckte Unsicherheit und das Bedürfnis nach Beachtung und
Wertschätzung.
Die Augen der Liebe sehen das menschlich allzu Menschliche bei den anderen
genauso wie bei sich selbst. Sie verändern uns, machen uns offener, weicher,
nachsichtiger und kraftvoller. Sie trauen uns und den anderen immer wieder
auch das Gute zu. Und zudem: die Liebe macht erfinderisch.
Mit den Augen der Liebe ist uns Ohnmächtigen, Unbedeutenden die Herrschaft
über unsere Welt in die Hände gegeben. Wir haben die Macht, uns selbst zu
verändern und unsere Wahrnehmung der Dinge und Menschen um uns.
Wir haben die Macht, in allem immer wieder auch das verdeckte Gute und die
verborgene Liebe zu sehen und sie zu ermutigen, sich zu zeigen und unsere
Welt kraftvoll und wirkmächtig mitzugestalten.
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
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