Weg-Wort vom 12. Juli 2007
Ein unbegreifliches Atmen
Früher einmal wurde mir beigebracht: Ich denke, also bin ich! Das Denken
galt oder gilt immer noch als ein Indiz dafür, wirklich zu sein.
Zweifelsohne: denken, nachdenken und überdenken sind wichtige Tätigkeiten
unseres Seins. Wir alle wissen, wohin kopfloses Tun oder Unterlassen
mitunter führen kann. Aber wenn die Ratio zur Lebensmaxime wird ich weiss
nicht...
Ich atme, also bin ich! Dieses Wort, dem ich in einem Buch begegnete,
regte mich zum Nachdenken an. Ist nicht der Atem die Quelle des Lebens?
Durch den Atem bekommen wir das Leben geschenkt. Der erste Atemzug eines
Kindes ermöglicht erst eigenständiges Leben. Mit dem letzten Atemzug haucht
ein Mensch sein Leben aus. Bei Überanstrengung droht der Atem auszugehen.
Regelmässiges Ein- und Ausatmen will unser Leben in Balance halten. Durch
das Ein- und Ausatmen sind wir im Austausch zwischen allem, was von der
selben Luft lebt. Wir atmen ganz selbstverständlich und ohne grosse
Überlegungen. Und doch hängt am Atem unser Leben!
Er ist ein Geschenk. Wir können ihn nicht machen. Er ist Lebens-Atem. Im
Schöpfungsbericht der Bibel bläst Gott durch die Nase Adams den Lebenshauch.
Ohne diesen Hauch Gottes kann der Mensch nicht leben. Auch das Evangelium
erzählt davon, dass der Geist Gottes eingeblasen wird. Jesus haucht seine
Jünger an mit den Worten: Empfangt den heiligen Geist! Die Jünger dürfen
sich immer wieder der Beatmung durch Gottes Geist aussetzen, ihn ganz in
sich aufnehmen. So sollen sie den grossen Lebensspender in ihr ganzes Sein,
auch ins Denken, einströmen lassen.
Die Mystikerin Mechthild von Magdeburg erlebte im Rhythmus ihres Atmens eine
ununterbrochene Verbundenheit mit Gott. Sie sagte einmal: Himmlischer
Vater, zwischen dir und mir geht immerfort ein unbegreifliches Atmen, worin
ich viele Wunder und unaussprechliche Dinge erkenne.
Wir tun gut daran, uns dann und wann in einem ruhigen Augenblick dieses
Geschenks zu erinnern und uns ihm zu überlassen:
Zwischen dir und mir, mein Gott,
geht immerfort ein unbegreifliches Atmen.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche