Weg-Wort vom 19. Mai 2009
Christ sein
Christen werden häufig mit der Erwartung konfrontiert, besonders gute
Menschen sein zu müssen. Christ sein aber heisst zuerst einmal nichts
anderes als ganz Mensch zu sein: zu lernen, sich als Mensch anzunehmen mit
seinen Stärken und Schwächen, seinen Fähigkeiten und Mängeln, mit dem
Gelingen und dem Versagen. Und dazu gehört die Einladung Jesu, die
Mitmenschen genauso in ihrem ganzen Menschsein anzunehmen, zu lieben wie
sich selbst.
Dass Christen nicht etwas besonderes sein müssen, darauf hat auch der
evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer auf eindrückliche Weise
hingewiesen:
Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? fragt Jesus in Gethsemane.
Das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet.
Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt
mitzuleiden.
Er muss also wirklich in der gottlosen Welt leben und darf nicht den Versuch
machen, ihre Gottlosigkeit irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären; er
muss weltlich leben und nimmt eben darin an den Leiden Gottes teil; er
darf weltlich leben, d. h. er ist befreit von allen falschen religiösen
Bindungen und Hemmungen.
Christsein heisst nicht, in einer bestimmten Weise religiös sein, auf Grund
irgendeiner Methodik etwas aus sich zu machen (einen Sünder, Büsser oder
einen Heiligen), sondern es heisst Menschsein, nicht einen Menschentypus,
sondern den Menschen schafft Christus in uns...
Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren mit einem
französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage
gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: ich
möchte ein Heiliger werden (- und ich halte es für möglich, dass er es
geworden ist -); das beeindruckte mich damals sehr.
Trotzdem widersprach ich und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen.
Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden... Wenn
man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen - sei es
einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann..., einen
Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden - ...
dann wirft man sich Gott ganz in die Arme.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
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