Weg-Wort vom 30. April 2007
Lebensfreude
Wenn Sie Menschen in Ihrem Bekanntenkreis fragen, wozu sie leben, werden Sie
vermutlich nicht einmal so unterschiedliche Antworten erhalten. Die meisten
möchten in ihrem Leben etwas erreichen, einen Traum verwirklichen, eine
Aufgabe erfüllen, es gut haben. Sie werden wahrscheinlich aber selten hören
dass sich jemand auch einfach des Lebens erfreuen will.
Wir sind erst jemand, wenn wir etwas leisten, wenn wir etwas vorweisen
können. Unser Tun und Lassen ist vorwiegend zweckbestimmt, bewusst oder
unbewusst. Selbst in die Ferien fahren wir, um uns zu erholen. Wir geben uns
wenig Gelegenheit, uns einfach des Lebens zu erfreuen, so wie Julius Sturm
das formuliert:
Der Vogel singt
und fragt nicht, wer ihm lauscht.
Die Quelle rinnt
und fragt nicht, wem sie rauscht.
Die Blume blüht
und fragt nicht, wer sie pflückt.
Nun sorge, Mensch,
dass gleiches Tun dir glückt.
Für Rainer Haak ist das Fest des Lebens nicht einigen wenigen vorbehalten.
Es gilt nicht nur für junge, dynamische Menschen. Das Fest des Lebens kostet
keinen Pfennig Eintritt. Es ist frei für alle. Es kennt keine
Mitgliedschaft, keine Ehrenmitglieder. Das Fest des Lebens beginnt in dem
Augenblick, wenn ich meine Liebe zum Leben entdecke und mich auf dieses
Leben ganz einlasse.
Wenn wir im Hier und Jetzt leben, wenn wir liebend bei dem sind, was wir
gerade tun, kann es geschehen, dass uns gleiches Tun glückt wie dem Vogel,
der Quelle und der Blume. In solchen Augenblicken vermögen wir zu lieben
ohne Lohn, zu vertrauen ohne Rückversicherung (Karl Rahner). In solchen
Momenten erfreuen wir uns einfach nur des Lebens.
Selbst Kleinigkeiten des Alltags können so zur selbstlosen Lebensfreude
werden: ein freundlicher Blick, das hilfreiche Wort im richtigen Moment, der
Verzicht auf das Drängeln im abendlichen Stossverkehr, das Betrachten des
gleissend glitzernden Sonnenlichts auf den Wellen des Sees oder auch einfach
ein stilles Dankgebet.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
www.bahnhofkirche.ch