Weg-Wort vom 10. Mai 2007
Mit dem Herzen sehen lernen
Seit etlichen Jahren ist die Redewendung im Umlauf: Aus dem Bauch heraus
reagieren. Damit meint man, den Zugang finden zu seinen Empfindungen und
Gefühlen. Von östlichen Meditationslehren her nimmt man auch an, dass die
Mitte des Menschen im Bauch ist.
Diese Redeweise nimmt einiges auf, was in der Tradition mit Herz gemeint
ist. Das Wort Herz gehört zu unseren Urworten und entzieht sich einer
genaueren Umschreibung. Herz steht für das Innerste der Person, für die
Mitte des Menschen als Quellgrund seiner Gesinnung und seines Handelns, vor
allem seiner Liebe. Im Herzen wurzeln die Empfindungen und Affekte.
Die Bibel sieht das Herz als entscheidendes Organ der Gottesbeziehung. Im
Herzen ist der Mensch offen auf Gott hin. Von Maria heisst es nach der
Geburt ihres Kindes: Sie bewahrte alles in ihrem Herzen (Lk 2,51). Maria
hat das ganze Geschehen um ihr Kind nicht mit ihrem Verstand fassen können.
Mit dem Herzen hat sie es aufgenommen, richtig verstanden und gedeutet. Das
Erwägen in ihrem Herzen brachte sie einen Schritt vorwärts.
Diese Aussage zeigt auch, wie Maria das Glauben lernte. Ihr Glaube wuchs
durch erwägendes Nachdenken und Meditieren. Sie vertiefte sich in das Wort
der Schrift. Mit dem Herzen betrachtete sie aber auch ihr Leben und ihren
Alltag, um in ihnen Gottes Spuren, Gottes Schriftzüge zu entdecken.
Im Beten und Meditieren können wir uns ein Sehenlernen mit dem Herzen
aneignen. Alles, was für das Leben bestimmend werden soll, muss meditiert
und in den Tiefenschichten des Herzen und der Person aufgenommen werden. Das
wiederholende Beten zum Beispiel des Unser Vater/Vater unser kann eine
Übung sein, in die Geheimnisse des Glaubens und des Lebens einzudringen.
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche