Weg-Wort vom 13. März 2007
Zum zweiten Gebot: Verwechsle nicht Gott mit deinen Gottesbildern!
Alles, was wir wahrnehmen, wird durch unsern Blick gefärbt. Wir können
nichts erleben und verstehen, ohne es in Worte zu fassen. Mit dem Wort
stellt sich sogleich ein Bild ein. Mache ich mir von einem Freund kein Bild,
so bleibt unsere Freundschaft im rein Abstrakten, ohne Leben. Mache ich mir
aber ein Bild von ihm, so laufe ich Gefahr, ihn zu fixieren, indem ich ihn
auf meine Wünsche und Vorstellungen festlege. Ich halte mich nicht mehr
offen für eine neue Begegnung mit ihm.
Das gleiche gilt auch für die Wirklichkeit Gottes. Immer fällt der Schatten
des Menschen auf das Bild, das er von Gott entwirft. Jedes Gottesbild
spiegelt eine Vielfalt menschlicher Züge wider. Wir haben ein Bedürfnis nach
Bildern, auch nach Bildern Gottes und göttlicher Dinge. Aber auch beim
Gottesbild laufe ich Gefahr, Gott mit meinen Bildern von ihm zu verwechseln.
Wenn ich ihn Vater oder Mutter nenne, übertrage ich meine Vorstellungen vom
Vater- und Muttersein auf ihn. Ich glaube, genau zu wissen, wie er ist und
wie er reagieren müsste.
Dieser Gefahr wehrt das zweite Gebot, wenn es da heisst: Du sollst dir kein
Gottesbild machen (Ex 20,4). Damit ist nicht gemeint, dass ich mir Gott
nicht in menschlichen Bildern vorstellen darf. Wir können ja gar nicht
anders. Aber das zweite Gebot tritt dafür ein, dass ich stets damit rechne,
dass Gott grösser ist als meine Bilder von ihm, dass kein Bild ihn ganz
einfangen kann.
Deshalb möchte das zweite Gebot mich auch ermuntern, meine
Gottesvorstellungen immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen. Das ist vor
allem dort gefordert, wenn ich feststelle, dass diese etwa seit den Tagen
meiner Kindheit festgefahren sind. Wie oft schleppen wir zum Beispiel
Vorstellungen von Gott herum, die aus einem Kinderbuch oder einer
bebilderten Schulbibel für das zweite Schuljahr stammen. Etwa das Bild von
Gott als dem alten Mann mit dem weissen Haar.
Fixierten, festgefahrenen Bildern von Menschen wirkt die Liebe am
wirksamsten entgegen. Sie ist lebendig, geduldig, offen für Neues. Die Liebe
befreit aus jedem Bildnis. Sie macht uns bereit, einem Menschen zu folgen in
allen seinen Entfaltungen. In der Liebe erfahrene Menschen wissen: Das ist
das Erregende, Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht
fertig werden. Das gilt auch von Gott.
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