Weg-Wort vom 10. April 2008
Anonym
König Adalbert III. von Ungarn beauftragte einst einen Gelehrten, die
Geschichte des Landes zu schreiben. Es wurde ein für Ungarn bedeutendes
Werk. Aber den Namen des Gelehrten wissen wir bis heute nicht. Er gab als
Verfasser nur an: Anonymus der Anonyme, der Ungenannte. Ein Mann, der
Großes wirkte, sich aber bescheiden hinter seinem Werk verbarg. Im Stadtpark
von Budapest steht sein Denkmal. Das Gesicht verschwindet im Dunkel der über
den Kopf gezogenen Kapuze. Am Sockel steht Anonymus.
Ein aussagekräftiges Symbol für so manches Gute, das Menschen in aller
Stille wirken. Dadurch erhält das Wort anonym eine neue, positive
Bedeutung. Im allgemeinen wird es eher negativ verwendet: Wenn wir uns in
der großen Masse verstecken. Wenn wir nicht Farbe bekennen oder uns ins rein
Private zurückziehen. Wenn wir tun, was man halt tut. Wert und Bedeutung hat
in unserer Gesellschaft und oft auch in den Kirchen vor allem das, was im
öffentlichen Rampenlicht geschieht und Schlagzeilen macht.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Menschliches Leben und Zusammenleben
gelingt dann, wenn wir im Alltag aufmerksam füreinander sind, miteinander
ins Gespräch kommen, wenn wir einander vertrauen und behilflich sind, uns
mitfreuen. Grosses geschieht dort, wo Menschen verzeihen können, einander
Mut machen und trösten, für ein menschenfreundliches Klima sorgen. Aber all
das geschieht weithin in der Stille und bleibt zumeist anonym.
Zu dieser Haltung ermuntert Jesus geradezu, wenn er vom Almosengeben sagt:
Deine linke Hand soll nicht wissen, was deine rechte tut (Mt 6,3). Nicht
die eigene Ehre und die öffentliche Anerkennung soll die Motivation sein,
Gutes zu tun, sondern die Liebe des Herzens. Die linke Hand ist ja die
Hand auf der Seite des Herzens, symbolisch gesprochen die Hand der bergenden
Liebe. Alles Handeln und Leben aus dieser Quelle braucht keine
Schaustellung. Papst Johannes XXIII. sagte einmal: Die wahre Würde des
Menschen ermisst sich nicht am Flittergold betörender Erfolge, sondern an
der inneren Ordnung und am guten Willen.
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