Weg-Wort vom 1. September 2008
Im Alltag kann mehr stecken als wir denken
In unserem Alltag denken und leben wir meist in zwei Räumen, in einem
weltlichen Raum mit seinen Geschäften und Alltäglichkeiten und in einem
religiösen Raum mit Gebet und Gottesdiensten. Es gibt einen Evangeliumstext,
der in sich die Verheissung enthält, dass Gott sich mitten in unserem
alltäglichen Leben finden lassen kann.
Der Evangelist Johannes erzählt von einer geheimnisvollen Begegnung Jesu mit
seinen engsten Anhängern am See Tiberias (Joh 21,1-14). Enttäuscht sind
diese nach dem Tod Jesu in ihren Fischeralltag zurückgekehrt. In gewohnter
Weise werfen sie in einer Nacht die Netze aus. Die Sorgfalt ist gross, aber
sie zahlt sich nicht aus. Die Männer holen die Netze leer wieder ein und
sind ärgerlich über den Misserfolg. Müde rudern sie gegen Morgen heim an den
Strand. Da sagt ihnen ein Fremder, sie sollten die Netze nochmals auswerfen.
Und sie tun das Unsinnige. Und siehe da: In der ungünstigen Fangzeit füllen
sich die Netze.
Das ist der Vordergrund der Geschichte. Diese hat aber auch einen
Hintergrund, eine Tiefendimension. Verschiedene Symbole spiegeln
Glaubenserfahrungen der nachösterlichen Jüngerschaft wieder. Eine Gemeinde
wird uns vorgestellt, die viel arbeitet, aber in der es auch viel
Misserfolg, viel vergeblichen Einsatz gibt. Die Gemeinde ist sich der
Gegenwart Jesu nicht mehr gewiss. In ihr ist es Nacht; statt Freude und
Gewissheit herrscht Rat- und Sinnlosigkeit.
Und dahinein geschieht das Wunder. Der Fremde ist kein anderer als Jesus
selber. Durch sein Hinzukommen verändert sich die Lage der Jünger
grundlegend: Sie wissen um seine Gegenwart und Nähe in allen Situationen.
Mitten im armseligen, sinnlos erscheinenden Alltag erfahren sie den Reichtum
Gottes.
Diese Erzählung zeigt uns, dass im Alltag mehr stecken kann als wir denken.
In ihm steckt die Möglichkeit des Wunders. Das normale, gewohnte, auf den
ersten Blick gerade durch die Abwesenheit von Religion charakterisierte
Leben kann durchsichtig werden auf das Heilige, das Göttliche hin. Für uns
gilt es, den religiösen Reichtum wiederzugewinnen, der in alle Dinge und
Geschehnisse der Alltagswelt eingeschrieben ist. Alles, was wir erleben und
vollziehen, kann für uns durchlässig werden auf Gott hin.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche