Weg-Wort vom 5. Dezember 2013
Meine Angst lässt grüssen
"Meine Angst, wurde mir ausgerichtet, lasse grüssen, sie erfreue sich bester
Gesundheit. Ich hatte sie, aber das ist schon zwei Wochen her, zwischen
Lausanne und Fribourg aus dem Zug geworfen. Warum, fiel mir damals plötzlich
ein, sollte man sich einer so lästigen Klette nicht entledigen können?
Da ausser mir gerade niemand im Abteil war, die gute Gelegenheit mir
aufmunternd zunickte, habe ich's dann also getan. So viel mir bekannt, ist
eine solche Handlung nicht strafbar.
Nur vergass ich natürlich im Überschwang meines Entschlusses, dass Ängste
überaus zäh sind. Sie überleben alles, sie überleben auch uns. Meine Angst
zum Beispiel ist, bevor sie auf mich kam, die meiner Mutter gewesen. Und
meine Mutter hat sie vielleicht schon von einer Tante gekriegt, das weiss
ich schon nicht mehr. Wie immer: wir Menschen kommen und gehen, doch
ungerührt bleiben die Ängste am Leben und wählen sich neue Träger aus.
Kein Wunder, dass es einer Angst überhaupt nichts ausmacht, aus dem
fahrenden Zug geworfen zu werden.
Deshalb ist meine euphorische Handlung ein sinnloser Akt gewesen. Wie zu
erwarten war, stellt sich nunmehr heraus, dass die würzige Waldluft das
Waadtlandes meine Angst erst recht gekräftigt hat. Schon also lässt sie mich
grüssen. Bald wird sie wiederum da sein, ausgeruht und erholt für ihren
Erwählten, für mich. Treue, hört man heute sooft klagen, sei selten
geworden. So kann nur reden, wer für einen Augenblick seine Angst vergessen
hat, vielleicht hat vergessen wollen. Aber niemand bleibt uns so unentwegt
treu wie die Angst." (Kurt Marti)
Beim Durchsehen alter Unterlagen zur Sprechausbildung aus dem Vikariat von
1983/84 bin ich auf diesen Text gestossen. Bei der Lektüre habe ich immer
auch das folgende Jesus-Wort (Joh 16,33) mitgehört: "In der Welt habt ihr
Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden". - Ein Gegensatz?
Wohl nicht, eher ein erfrischend offener Umgang mit der eigenen Angst. Denn,
je besser man sie kennt, desto einfacher ist es mit ihr umzugehen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
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