Weg-Wort vom 12. August 2008
Ein Rädchen im Getriebe oder die Lust am Leben
Als ich letzthin im Tinguely-Museum die scheinbar sinnlos ratternden und
lärmenden Maschinen betrachtete, spürte ich eine wachsende Lebensfreude, die
mich stets neu zu erfassen vermag, wenn ich mich daran zurück erinnere. Der
Theologe Xaver Pfister hat ein ähnliches Erlebnis folgendermassen
beschrieben:
Sie haben diese Erfahrung sicher auch schon gemacht. Kaum ist man wach,
dreht sich schon alles im Kopf. Der vollgestopfte Terminplan des Tages legt
sich über das Bewusstsein. Man merkt, wie man eingespannt ist in die
Geschäftigkeit dieser Welt.
Alle verlangen von uns erbarmungslos, dass wir wie ein Uhrwerk
funktionieren. Ich komme mir in solchen Situationen wie ein Rädchen in einer
Maschine vor. Ich merke, wie man mich dreht und ich mich gar nicht
entziehen kann, einmontiert in das Getriebe Leben. Im Grunde eine
schreckliche Erfahrung, ein Albtraum, der sich am Ende der Träume beim
Erwachen in den Tag einstellt.
Der Schweizer Künstler Jean Tinguely hat eine ganze Anzahl von Maschinen
gebaut, die mich an die beschriebene Erfahrung erinnern. Da drehen Rädchen,
das eine vom anderen angetrieben, da ächzt und klappert es. Und dennoch:
Diese Maschinen sind mit dem mühsamen Alltagsgetriebe nicht zu vergleichen.
Sie versprühen Lebenslust. Auch hier werden Rädchen angetrieben, aber es
stellt sich nicht das Gefühl ein, da sei alles in einen sinnlosen Leerlauf
eingespannt. Nicht die Mühsal des Alltags repräsentieren sie. Sie vermitteln
vielmehr Lust am Leben.
Diese Beobachtung beschäftigt mich. Ich frage mich, ob es mir in der
Situation des mühsamen Erwachens am Morgen etwas bringt, wenn ich mich da an
die lustvollen Tinguely-Maschinen erinnere. Ich denke schon. Denn das eine
ist das, was mir geschieht, das andere aber ist das, wie ich mich zu dem
stelle, was mir geschieht.
Und das Zweite so meine Erfahrung wirkt sich auf das Erste aus, kann es
verändern. Wenn ich mich den ganzen Tag dagegen sperre, dass ich ein
ächzendes Rädchen einer sinnlos drehenden Maschine bin, dann quietscht es
doppelt im Getriebe, und die Räder reiben sich heiss. Erinnere ich mich aber
an die Tinguely-Maschinen und ihre Ausstrahlung, verändert sich der Tag. Er
bekommt eine andere Qualität. Die innere Einstellung verändert unseren
Alltag.
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Hauptbahnhof Zürich
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