Weg-Wort vom 23.April 2009
Wahrheit
Sende dein Licht und deine Wahrheit, sie sollen mich leiten, zu deiner
Wohnung
(Psalm 43,3)
Ein Hund hatte ihn gebissen. Die offene Wund schloss sich bald. Aber
darunter entwickelte sich ein Infekt weiter. Die Hand blieb entzündet.
Die Ungeduld und die Klage über das Missgeschick wechselten sich ab. Die
Warnungen von Bekannten überhörte der Mann geflissentlich - es wird schon
gut werden.
Grund für sein Zögern war die Erinnerung an eine Blutvergiftung, die er als
Kind vor sechzig Jahren erlitten hatte. Seiner Mutter hatte er nie ganz
verziehen, dass sie sich damals nicht für ihn gewehrt hatte. Der Arzt habe
über Tage und Wochen seine Verletzung offen gehalten.
Diesmal schlossen sich die Wunden, aber die Hand heilte nicht. Der Arzt
brauche gute Gründe, bevor er ihn an seine Hand lasse sagte der Mann
entschlossen. Der Chirurg nahm sich Zeit für ein Gespräch und konnte die
Befürchtungen des Patienten ausräumen. Er erklärte dem Mann, dass der Arzt
damals das einzig Richtige getan hatte, um seinen Finger zu retten.
Der über Jahrzehnte gehegte Vorwurf gegenüber seiner Mutter löste sich auf.
Der Mann willigte in die dringlich gewordene Operation ein. Seiner Hand ging
es allmählich besser; in seiner Seele war es auch leichter geworden.
Wahr für uns ist, was wir sehen und erfahren. Ob das die Wahrheit ist,
wissen wir aber nicht. Besonders bei emotionalen Erlebnissen können sich die
tatsächlichen Begebenheiten mit unserer Deutung verschieben. Sind wir
enttäuscht oder beschämt worden, vergraben wir es oft in den dunkeln Falten
der Seele. Mit dem Licht der Erkenntnis können wir das Dunkel ausleuchten.
Dann leben wir in der Wahrheit, die uns Gott nahe sein lässt, und die uns in
die Lebendigkeit führt.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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