Weg-Wort vom 3. April 2006
Spiegelbild
Jeden Tag sehe ich mein Gesicht beim Rasieren im Spiegel. Aber ich sehe mich
nicht wirklich. Ich sehe nur den Vorgang des Rasierens und, ob meine Haare
in Ordnung sind.
Manchmal aber halte ich inne, betrachte mein Gesicht, meine Augen und nehme
mich selber wahr. Dabei kann es geschehen, dass ich beinahe erschrecke, mir
selber so unverhofft und direkt zu begegnen. Mit mir konfrontiert kommen die
unterschiedlichsten Gefühle hoch. Ich wende mich entweder schnell ab von
meinem Spiegelbild oder ich halte mich selber aus und beginne, über mich
nachzudenken, mich mit mir selber auseinander zu setzen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich im Spiegel betrachten?
· Schauen Sie sich mit Freude und Wohlgefallen an?
· Ist es Ihnen wohl so ganz allein mit ihrem Spiegelbild?
· Fühlen Sie sich vielleicht unsicher, vermeiden Sie den offenen Blick, weil
Sie sich insgeheim fürchten vor dem, was Sie dabei sehen oder spüren
könnten?
· Oder gehen Sie sich selbst schon mal auf die Nerven?
Wir können unser Gesicht nur im Spiegel sehen. Kleine Kinder sagen erstmals
zu ihrem Spiegelbild ich und entdecken so ihr eigenes Selbst. Unser
Spiegelbild ist eine Gelegenheit, uns mit der eigenen Wirklichkeit
auseinander zu setzen, uns weiter zu entwickeln und persönlich zu wachsen.
Dabei genügt das Selbstbild allein nicht. Wir haben alle uns selber
gegenüber unsere Scheuklappen und blinden Flecken. Haben Sie schon einmal
andere in der Familie, unter Freunden gefragt, wie sie Sie sehen?
Welches Bild sie von Ihnen haben? Das kann sehr heilsam sein, wenn wir
bereit sind, uns auf die Wahrnehmung der andern, auf ihre je eigene Wahrheit
einzulassen. Mit den Fremdbildern vermögen wir, unser Selbstbild zu
überprüfen, aus kritischen Äusserungen zu lernen und uns durch positive
Rückmeldungen stärken zu lassen.
Wir können uns gegenseitig besonders dann heilsame Spiegel sein, wenn wir es
aus der Haltung heraus tun, dass wir als Ebenbilder Gottes immer auch
Spiegel des göttlichen Lichtes, Spiegel der göttlichen Liebe sind, für uns
selbst und für unsere Mitmenschen.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche
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