Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 19. Juni 2020
Sehen wie ein Kind
Scheinbar Selbstverständliches hat Jesus immer wieder in Frage gestellt. Für
göttliches Erkennen braucht es keinen gelehrten Intellekt. Darauf verweist
er zu Beginn der heutigen Lesung aus dem Matthäus-Evangelium: Ich preise
dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und
Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. (Mt 11,25)
Dazu kommt mir das Märchen des Kaisers neue Kleider von Hans Christian
Andersen in den Sinn. Zwei betrügerische Weber bieten in die Stadt des
modeverrückten Kaisers ihre Dienste an und behaupten, die schönsten Stoffe
herzustellen, welche darüber hinaus die besondere Eigenschaft hätten, dass
sie für Menschen unsichtbar wären, die nicht für ihr Amt taugen oder
unverzeihlich dumm seien. Der Kaiser in der Hoffnung, damit die unfähigen
Beamten entlarven zu können engagierte die beiden, die nun eifrig an
leeren Webstühlen arbeiteten.
Mehrmals schickt der Kaiser Vertraute, um die Fortschritte zu begutachten.
Natürlich sehen sie nichts. Gleichwohl lügen sie dem Kaiser vor, wie
prachtvoll die Stoffe seien, weil sie nicht als untauglich gelten wollen.
Dem Kaiser geht es nicht anders. Er lässt sich aus dem imaginären Stoff
Kleider schneidern und zeigt sich damit an einer Prozession. Dort schweigen
alle Erwachsenen. Nur ein kleines Kind ruft in die Menge: Aber er hat ja
nichts an!
Es gibt viele Gründe, nicht zu sehen oder auszusprechen, was Sache ist.
Tiefsitzende erlernte Glaubenssätze, Angst vor Autoritäts- oder
Gesichtsverlust und das Profitieren von bestehenden Verhältnissen sind nur
einige davon. Jesus preist Gott für die Menschen, welche die Dinge
unverstellt neugierig wie ein Kind anschauen und mutig aussprechen, was sie
sehen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von Wolfgang Sauber auf Wikimedia Commons
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