Weg-Wort vom 23. März 2010
Sich verstanden fühlen
Immer wieder werde ich gefragt, ob es nicht belastend sei, täglich mit so
vielen unterschiedlichen Problemen und Schicksalen konfrontiert zu werden.
Meine bleibende Erfahrung dabei ist: In den Seelsorgegesprächen begegne ich
Menschen und nicht ihren Problemen.
Wenn sie leiden, leide ich ein Stück mit. Wenn sie sich freuen, freue ich
mich mit ihnen. Es ist eine Begegnung von Mensch zu Mensch, in der Floskeln
und Allgemeinheiten keinen Platz haben, am wenigsten gut gemeinte
Ratschläge. Vielmehr:
Im Seelsorgegespräch sehen wir gemeinsam der Wirklichkeit des Lebens ins
Auge so offen und ehrlich wie möglich. Da ist zum Beispiel der Mann, der
an seinem Arbeitsplatz gemobbt wird. Wir reden dann weniger über das
Problem, sondern mehr darüber, was das Mobbing für ihn bedeutet. Was es mit
ihm macht oder bei ihm auslöst. Welche Gefühle er dabei empfindet.
Ich bin dann mit meiner Aufmerksamkeit bei ihm und seinen Empfindungen und
nicht beim Problem Mobbing. Ich kann so mit ihm mitschwingen und mitfühlen.
Er fühlt sich eher gehört und ernst genommen.
Wer sich aber verstanden und angenommen erfährt, wie er sich im Moment
fühlt, der ist auch eher bereit, sich selber anzunehmen. Er ist dann
vielleicht sogar in der Lage, noch genauer und tiefer hinzusehen. Und er
ist jetzt eher fähig und bereit, nach der für ihn angemessenen Lösung zu
suchen.
Es könnte ja zum Beispiel sein, dass er es ist, der den vielen Sprüchen
seiner Arbeitskollegen die Bedeutung Mobbing gegeben hat. Dass diese
Sprüche vielleicht gar nicht so sehr gegen seine Person gerichtet sind. Er
hat das mit ihnen einfach noch nie geklärt.
Sich von jemand wirklich gehört und verstanden zu fühlen, kann heilsam sein.
Vielleicht haben Sie dieses wohltuend befreiende Gefühl auch schon erfahren.
Es ist wie ein unverhofftes persönliches Geschenk.
Ein Geschenk aber, das wir alle einander jederzeit bereiten können. Es
braucht dazu allerdings ein bisschen Übung im gewöhnlichen Alltag. Damit es
uns auch in schwierigen Situationen leichter von der Hand geht und von
Herzen kommt.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
© Bahnhofkirche. Hauptbahnhof Zürich
www.bahnhofkirche.ch
info(a)bahnhofkirche.ch