Weg-Wort vom 20. August 2008
Das Leben ist gütig
Eine Geschichte, die er für sein Leben hält, vermutete Max Frisch, erfinde
sich jeder irgendwann selbst. Ganz besonders deutlich wird das in der
Geschichte vom guten Vater oder vom verlorenen Sohn, die uns Jesus erzählt.
Zwei Lebenserfinder bekommen wir vor die Augen gemalt, die Geschichte zweier
Söhne, wie sie, auf den ersten Blick, unterschiedlicher nicht sein kann: der
eine ein Nestflüchter, der andere ein Nesthocker. Und dann ist da noch der
Vater, ein liebenswürdiger Mann, wie es scheint. Eben ist er dem
verhungerten Heimkehrer mit ausgebreiteten Armen entgegengelaufen. Das
Wiedersehensfest hat begonnen. Aber jetzt steht er draussen, im Regen, denke
ich mir, und streckt seine Arme dem anderen, vom Feld heimkehrenden Sohn
entgegen: Komm, freu dich mit uns und feiere!
Wenn dieser Bruder jetzt nicht hereinkommt, ist das Fest kein Fest mehr.
Der ältere Sohn er wartet sein Leben ab. Das wohlige Gefühl, der Erbe zu
sein: Alles, was mein ist, ist dein. Er hat alles: die Nähe zum Vater, zum
Hof, das Ansehen eines guten Menschen: Ich habe dein Gebot noch nie
übertreten. Er hat alles und ist doch zu kurz gekommen. Er ist gut, doch
das Leben ist ihm nicht gut. Und er weiss, wer daran schuld ist. Und es
macht ihn wütend, dass jetzt wieder einmal die Schuld nicht benannt und
geklärt wird.
Zwei Lebenserfinder und ihr Vater. Was für ein Leben will er, der Vater,
erfinden? Ziemlich lächerlich sei er, findet jemand, eine schmerzensreiche,
katastrophale Figur. Seine Söhne enttäuschen ihn. Der eine will nichts wie
weg, der andere bleibt, aber wie: wartend und lauernd, wie es jetzt
herauskommt. Und so bleibt auch er ihm innerlich fern.
Zwei Lebenserfinder und ihr Vater. Ein merkwürdiger Einzelgänger, dieser
Vater. Und wenn ausgerechnet er die Wahrheit des Lebens gefunden hätte? Er
bringt zusammen, was wir nur schwer zusammenhalten können: Er liebt und
kämpft, er kämpft und liebt. Nicht für sich, sondern für die Feier des
Lebens. Das Fest soll gelingen, mit uns, und mit den anderen auch. Wir
misstrauischen Söhne und Töchter, Gefangene unserer Vergangenheiten, nur auf
Bewährung frei, wir könnten uns von ihm bezaubern lassen: Das Leben ist
gütiger, als du denkst, als du zu glauben wagst, viel gütiger, unendlich
gütig. Wenn du deine zweifelnden oder kampfbereiten Arme sinken lässt,
kannst du die Umarmung ahnen
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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