Weg-Wort vom 3. Juni 2009
Schaukasten oder Papierschiffchen
Dass sie nicht ihn, sondern den weniger erfolgreichen Kollegen befördert
hatten, das kann er ihnen nicht verzeihen. Um es ihnen zu zeigen und dass er
nicht auf sie angewiesen war, hatte er sofort gekündigt. Er wollte nichts
mehr mit ihnen zu tun haben. Von seiner Kränkung aber sprach er immer
wieder. Auch bei Menschen, die es nicht oder nicht mehr hören wollten. Er
realisierte nicht, wie sehr er sich gerade durch sein Nicht loslassen
können in der inneren Abhängigkeit von seinem früheren Arbeitgeber hielt.
Enttäuschungen und Kränkungen erleben wir alle immer wieder. Es ist die
Frage, wie wir mit ihnen umgehen. Manche klammern sich an ihren Verletzungen
fest und benützen sie als Klage oder Anklage gegenüber ihren Mitmenschen und
ihrem Schicksal. Andere sammeln alles, was sie ärgert und kränkt, um dann
immer wieder kummervoll oder sich bemitleidend vor den Regalen des Museums
ihrer inneren Wunden zu stehen.
Was wir nicht loslassen können, das hat uns fest im Griff und hindert uns,
uns frei zu entfalten. Unsere Sehnsucht nach innerer Freiheit und
Unabhängigkeit stillen wir aber erst, wenn wir uns freimachen von dem, was
andere oder wir selbst über uns denken oder von uns erwarten. Wenn wir nicht
mehr abhängig sind von der Anerkennung und Zuwendung anderer. Wenn wir uns
nicht mehr beherrschen lassen von unseren Sorgen und Ängsten.
Gewiss, es ist notwendig, dass wir unsere Gefühle der Wut und Trauer über
unsere Verletzungen ernst nehmen, zulassen und annehmen dass wir sie dann
aber nicht wie in einem Schaukasten festhalten, sondern auch wieder
loslassen und sie, wie Papierschiffchen, getrost dem Strom der Zeit
überlassen.
Wenn es uns gelingt, unsere Enttäuschungen, Sorgen und Ängste jedes Mal,
wenn sie erneut in uns auftauchen, ernst zu nehmen und sie immer wieder
loszulassen, wachsen mit der Zeit in uns eine innere Freiheit und
Gelassenheit heran, die unser Leben erst wirklich fruchtbar werden lassen.
Die uns den inneren Raum geben, in dem unser wahres Wesen sich entfalten
kann und in dem wir Gott nahe sind.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
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