Weg-Wort vom 8. Mai 2008
Sich in Dienst nehmen lassen
Es gibt eine tiefsinnige Legende von Franz von Assisi. Sie handelt von der
Zeit, in der er seinen Weg im Leben sucht. Nach Jahren innerer Unruhe und
des Suchens geht er eines Tages am zerfallenen Kirchlein San Damiano vorbei.
Er tritt ein, kniet nieder, betet und schaut auf das grosse Tafelkreuz.
Plötzlich hört er den Gekreuzigten sagen: Franziskus, siehst du nicht, dass
mein Haus in Verfall gerät? Geh also hin und stelle es mir wieder her!
Diese Legende entfaltete sich später weiter und sagt: Bis zu diesem
Zeitpunkt hatte der Gekreuzigte auf dem Tafelbild geschlossene Augen gehabt,
von nun aber offene nicht nur für Franziskus, sondern für alle.
Diese Legende sagt uns: Jesus wird lebendig für Franziskus und für seine
Zeit -, sobald er bereit ist, sich auf den Plan einzulassen, den Gott mit
seinem Leben hat. Franziskus wusste noch nicht genau um seinen Weg; er bekam
durch die Stimme erst einen Umriss seines Lebensauftrags: Stelle mein Haus
wieder her! Er versteht diesen Auftrag zuerst wörtlich und vordergründig:
er renoviert Kirchen, fügt Stein auf Stein. Erst später geht ihm auf, dass
er mit lebendigen Steinen das Haus der Kirche aufbauen und erneuern muss.
Jeder Mensch hat eine ganz einmalige Aufgabe für sein Leben bekommen, die
nur er erfüllen kann. Der Theologe Karl Rahner sagte einmal: Jeder Mensch
ist ein einmaliger Ruf Gottes in der Welt. Jesus wird auch heute dort
lebendig, wo sich Menschen von Gott ansprechen und in Dienst nehmen lassen,
wo sie unermüdlich nach der Wahrheit ihres Lebens fragen, wo die Frage in
ihnen lebendig wird: Was willst du, dass ich tun und aus meinem Leben machen
soll?
Und eine zweite Botschaft der Legende: Der Lebensauftrag für Franziskus
lautet: Stelle mein Haus wieder her! Es gibt verschiedene Häuser, an denen
wir bauen müssen, die ständiger Erneuerung bedürfen: das Haus unserer Ehe
und Familie, das Schweizer Haus, das Haus Europas, vielleicht auch das Haus
der Kirche. Mit jedem Ruf Gottes ist ein Auftrag für die Gemeinschaften
verbunden, in denen wir leben.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche