Weg-Wort vom 25. Oktober 2007
Vertrauen lernen in allem Ungesichertsein
Bei aller Kritik, die heute an den Kirchen geübt wird, gibt es bisweilen
auch Liebesbekenntnisse an sie. Ein solches las ich vor einiger Zeit bei
der jetzt verstorbenen deutschen Theologin Dorothee Sölle. Sie lobt in einem
Text das Langzeitgedächtnis der Kirche: Kirche ist für sie ein Raum
langfristiger Erinnerung der Geschichten von möglichem Leben. Sie schreibt:
Ich muss mich nicht nur auf meine Hoffnung verlassen, nicht nur meine
Glaubenskraft stark machen. Schon 2000 Jahre lang werden tagtäglich
Geschichten erzählt, vom Charme der Gnade, vom Gott der Armen, von der
Bergung des verlorenen Lebens.
Im heutigen Wegwort will ich eine Geschichte in Erinnerung rufen, die uns
ermuntert, Vertrauen zu lernen in allen Gefährdungen unseres Lebens. Es ist
die Erzählung über das Ende der grossen Flut und den verheissungsvollen
Anfang einer neuen Zeit. Dieser Neuanfang ist repräsentiert in der
biblischen Gestalt des Noah.
Als eine grosse Flut über die Erde kam, baute Noah eine Arche und brachte in
ihr Mensch und Tier in Sicherheit. Nach vierzig Tagen liess der Regen
allmählich nach. Da tat Noah das Fenster der Arche auf und liess eine Taube
ausfliegen. Diese kam wieder zurück, weil sie keinen Ort fand, wo ihr Fuss
hätte ruhen können. Noah wartete weitere sieben Tage und liess abermals eine
Taube ausfliegen. Diese kam zu ihm zurück zur Abendzeit und siehe: sie hatte
ein frisches Ölblatt im Schnabel. Da merkte Noah, dass das Wasser gefallen
war auf Erden. Er harrte noch weitere sieben Tage, dann liess er die Taube
wiederum fliegen. Und diese kam nicht zurück (vgl. 1 Mose 7-8).
Diese Erzählung ist ein Gleichnis für den Menschen in seinen vielfältigen
Erfahrungen von Gefährdetsein und Gerettetwerden. Das Bild vom Wasser
spricht uns vor allem dann an, wenn auch uns das Wasser zum Halse steht und
wir nicht aus und ein wissen. Dann verstehen wir auch die wortlose Sprache
der Taube, die mit dem frischen Ölblatt im Schnabel der harrenden Kreatur
Rettung und neue, bessere Zeiten verheisst. Eine Taube hilft dem Noah, in
seiner Gefährdung und Ungesichertheit das Vertrauen zu lernen und sich neu
dem Leben zu öffnen.
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