Weg-Wort vom 15. Juli 2009
Dem guten Kern vertrauen
Der unerwartete Tod eines guten Freundes hatte ihn schockiert. Er war wütend
und zutiefst traurig und dann auch nachdenklich: Was wäre, wenn es mit ihm
zu Ende wäre?! Er begann, über sein Leben Bilanz zu ziehen.
Er war eigentlich ein angenehmer Zeitgenosse. Aber er musste sich
eingestehen, dass er stets seine Interessen durchzusetzen wusste. Charmant
zwar, aber doch oft verdeckt und unfair auf Kosten anderer. Obwohl er
glaubte, so zu handeln wie die meisten anderen in seiner Umgebung auch,
schämte er sich. Er begann an sich zu zweifeln, sich schlecht und schuldig
zu fühlen. In dieser Situation hätte er nach Jahren gerne wieder
gebetet. Doch es ging nicht. Zu gross waren seine Scham und sein schlechtes
Gewissen.
Die Situation dieses Mannes und viele andere ähnliche auch erinnern mich an
die Geschichte Jesu mit Zachäus (Lk 19,1-10). Der oberste Zolleinnehmer der
Stadt war sehr reich und klein von Gestalt. Er kletterte darum auf einen
Baum, um Jesus zu sehen. Dieser sah ihn und lud sich bei dem als
ausgemachten Sünder geltenden Mann als dessen Gast in sein Haus ein. Zachäus
freute sich so sehr, dass er Jesus gegenüber grosszügige Wiedergutmachung
und Spenden versprach.
Jesus verurteilt nicht. Bei ihm ist kein Sünder abgeschrieben. Er lädt
sich vielmehr höchst persönlich bei jedem ein und sei er ein noch so
notorischer Versager oder mit schweren Fehlern und Problemen behaftet. Jesus
nimmt uns bedingungslos an, so wie wir sind, mit all unseren Schwächen und
unserem Versagen. Ja er traut uns sogar einiges zu und lockt die positiven
Kräfte in uns hervor.
Wenn wir das ganz und gar und zutiefst erfassen und annehmen, können wir
nicht anders, als uns wie Zachäus freuen, Wiedergutmachung leisten und
dasselbe wie er mit uns tun: uns annehmen, wie wir sind, und an das Gute in
uns glauben.
Wir können dann auch nicht mehr in unseren Vorurteilen gefangen bleiben und
andere damit abstempeln. Da geht vielmehr das Herz in uns auf und wir werden
wie Zachäus frei - zum Beispiel von den Mechanismen falscher
Selbstbestätigung auf Kosten anderer. Da sind die guten Kräfte in uns
herausgefordert, anderen das zu erweisen, was Jesus uns erweist:
An den guten Kern in jedem zu glauben. Anderen so zu begegnen, dass sie sich
selbst etwas zutrauen, dass sie die eigenen Möglichkeiten entdecken und sie
entfalten.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
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