Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 4. Mai 2017
Mach en ganze Satz
Für alle, die kein Schweizerdeutsch verstehen: Es kommt der elterlichen
Aufforderung an ein Kind recht nahe, sich nicht nur in Einzelworten
mitzuteilen, sondern in ganzen Sätzen. Wie oft haben Eltern ihre wortfaulen
Kinder dazu ermuntert, nicht nur Butterbrot oder Schoggibrot zu sagen,
sondern "Liebe Mama, kannst du mir ein Butterbrot geben? - Ja gern, mein
Kind. - Danke, Mama."
Solche Kommunikation lieben wir. Da hat alles seinen Platz. Der Wunsch ist
formuliert, der Anstand ist gewahrt und alle sind glücklich.
Mit der Wortkargheit umzugehen ist manchmal anstrengend, aber es besteht
doch immerhin die Hoffnung, dass aus dem Wenigen mal mehr wird. Wenn es
umgekehrt ist, dann wird's oft schon viel schwieriger. Sie kennen ja das
Sprichwort: "Wes des Herz voll ist, des läuft der Mund über." Da geht's ans
Bremsen, was bei einem glücklichen Menschen schwierig ist, aber doch gute
Chancen auf Erfolg hat.
Ist jedoch das Herz übervoll mit Schmerz, und Trauer und Leid und schlimmen
Erlebnissen, dann kann der Mund wirklich überlaufen und ein Mensch redet
ohne Punkt und Komma, 10 Minuten, 20 Minuten, eine halbe Stunde und mehr. Es
sind dann keine einfachen Sätze mehr. Sie sind verschachtelt, und ineinander
verwoben. Da springen Vergangenheiten und Gegenwart durcheinander. Zeiten
und Erlebnisse werden so aneinander gereiht, dass sie nur noch der inneren
Logik des Erzählenden folgen. Am Schluss fühlt man sich als Hörer wie in
einem Karussell, das sich immer schneller und immer schneller dreht und es
einem schlecht wird dabei.
Es ist die Seele, die nach Hilfe schreit und nach einer Sprache sucht, die
die inneren Verhältnisse eines Menschen sichtbar machen.
Da heisst es dann ganz anders: Mach einen ganzen Satz, einen schlichten und
einfachen Satz und dann den nächsten und dann den übernächsten. So kann der
Hörer folgen und es hilft Klarheit zu finden. Ein Satz schliesst an den
andern an, wie bei einer Zugskomposition.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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