Weg-Wort vom 11. Dezember 2008
In jeder Unvollkommenheit liegt
eine Erlösung, eine Befreiung
und eine Verheissung (Sr. M.A)
Wenn der Briefträger das Wochenmagazin für meine Mutter brachte, freute ich
mich auf die Kinderseite. Dort gab es eine Aufgabe: In zwei fast gleichen
Bildchen waren elf Unterschiede versteckt, und diese galt es zu finden.
Eines dieser Bildchen war jeweils fehlerhaft, nur welches? Vielleicht das
bei dem der Ponpons auf dem Hut des Clowns fehlte?
Im Vergleich entscheiden wir darüber, was fehlerhaft ist. Jede Abweichung
von der Vorgabe ist ein Mangel.
Genau zu beobachten und Schlüsse daraus ziehen, ist in vielem
überlebenssichernd. Zum Beispiel, wenn wir eine Strasse überqueren. In der
Naturwissenschaft braucht es die Gabe der guten Beobachtung. Schon eine
winzige Abweichung kann ein Hinweis auf neue Erkenntnis sein.
Im Vergleich mit unseren Mitmenschen kommt es aber darauf an, ob wir nach
Unterschieden oder Fehlern suchen.
Wir können einem Vorbild nacheifern und uns das aneignen, was wir an ihm
bewundern. So lernen wir und entwickeln uns. Dann ist der Vergleich ein
Gewinn.
Wenn wir aber unser Selbstbild mit unserem Ideal von Vollkommenheit
vergleichen, wird das Leben schwer. Denn wer ehrlich mit sich ist, findet
weit mehr als elf Unterschiede. Das nagt aber am Selbstwert; der nimmt
Schaden mit jeder weiteren Abweichung, die wir feststellen.
Am ersten Adventsonntag wurde mir obiger Spruch geschenkt. Er weist darauf
hin, dass gerade in der Unvollkommenheit auch eine Verheissung ist. Das
tröstet und befreit von den eigenen, unerreichbaren Vorgaben. Das eröffnet
die Chance heil zu werden, sich annehmen zu können in der eigenen
Unvollkommenheit. So vermeidet man die Erschöpfung. Die Gelassenheit
gegenüber sich selber befreit um das Gute aufzunehmen, was auf einem
zukommt.
Das ist die Verheissung der Unvollkommenheit.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche