Weg-Wort vom 4. Januar 2011
Gott ist in unserem Alltag
Das weiss ich: Manchmal möchten wir vor der Realität, vor den Tatsachen nur
fliehen. Einfach weg und fort. So bedrückend und verstörend, so Angst
machend und lähmend ist sie, die Realität.
Und davon höre ich viel: Menschen flüchten zu Gott, vergraben sich tief im
Gebet, weben sich mit Ritualen ein, mit den gläubigsten und besten
Absichten, nur damit sie sich nicht der Realität stellen müssen. Gott als
Fluchtpunkt, als Kraft, die sich im Ich verpufft.
Und dann kommen sie in die Seelsorge, abgekämpft, müde, verzweifelt, völlig
am Ende und rufen: Gott hilft mir nicht! Er hält sich von mir fern!
Nachgeschoben wird die Frage: Was mache ich nur falsch?
Diese Geschichte hilft:
Eines Tages kam der Rabbi von Krakau in das Zimmer, wo sein Sohn im tiefen
Gebet versunken war. In der Ecke stand eine Wiege mit einem weinenden Kind.
Der Rabbi sagte seinem Sohn: Hörst du nicht, dass das Kind weint? Der Sohn
sagte: Vater, ich war in Gott versunken. Da sagte der Rabbi: Wer in Gott
versunken ist, sieht sogar die Fliege, die auf der Wand kriecht.
Gott wendet unseren Blick auf die Realität. Er öffnet uns für sie die Augen.
Er lässt uns sie ohne Angst anschauen. Denn dort, in unserem Alltag, sind
auch die Auswege, die Lösungen, die Veränderungen zu finden. Da, in unserer
Realität, auch wenn sie uns belastet, ängstigt oder gar lähmt, da will er
wirken, will er unser Tun und Lassen, will er uns zu vollem Leben führen. Er
ist nicht unser Fluchtort, sondern das Leben mitten in unserer Welt.
Dafür ist er Mensch geworden, einer von uns. Wir haben da Hilfe, wo wir
leben und mitten drin sind.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
www.bahnhofkirche.ch
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Iris Daus, Rolf Diezi
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche