Weg-Wort vom 29. August 2007
Gott ums tägliche Brot bitten?
Immer wieder beten wir im Vaterunser/Unservater ums tägliche Brot. Sind wir
nicht merkwürdige Gestalten: Mit vollem Magen, gut versorgt und versichert
stehen wir vor Gott und bitten ihn um Brot? Setzt diese Bitte nicht eine Not
voraus, die es bei uns kaum mehr gibt?
Die Nahrung, die wir zum blossen Überleben benötigen, vermögen wir uns
vielleicht mit unseren eigenen Kräften zu beschaffen. Aber was wir wirklich
zum Leben brauchen, können wir nicht selber hervorbringen. Die Bitte ums
tägliche Brot richtet sich ja nicht nur auf das, was wir essen, sondern auf
alles, wovon wir leben. Dazu gehören auch Zuwendung, Liebe, Geborgenheit,
Verzeihen. Denn gerade darin zeigt sich unsere Abhängigkeit und
Verwiesenheit auf andere. Zuwendung, Liebe, Verzeihen können wir uns nicht
selber schaffen, sondern immer nur empfangen.
Jedes Stück Brot, das wir auf unserem Frühstückstisch haben, verwickelt uns
in eine grosse Schicksalsgemeinschaft. Im Essen und Trinken werden wir
verflochten mit dem Schicksal vieler Menschen. Wie viel Arbeit wie vieler
Menschen ist auch nur in einem Stück Brot enthalten! Ob wir es wollen oder
nicht: Am Brot, das wir essen, ist die ganze Mühe der Bauern bei Saat und
Ernte des Getreides enthalten. Nicht zu lösen vom Brot ist die schöpferische
Kraft des Erfinders von Mähdreschern und anderer Maschinen, die zum Backen
von Brot benötigt werden. Mit dem Brot verbunden ist zudem die Freude des
Bauern, der vom Erlös des Getreides leben kann, die Zufriedenheit jener
Menschen, denen es gelingt, gutes Brot zu backen, der Genuss von uns allen,
wenn wir mit Appetit ein gutes Brot essen.
Wir verdanken einander nicht nur Speise und Trank, wir schulden sie einander
auch, wir schulden einander auch das zum Leben Notwendige. Jedes Brot
enthält in sich den Anruf, Verantwortung für gerechtes Brot in der Welt zu
übernehmen, den Menschen in der Nähe und in der Ferne das nicht
vorzuenthalten, was sie zum Leben brauchen: Nahrung, Gerechtigkeit, Liebe,
Treue.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
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Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche