Weg-Wort vom 7. Oktober 2010
Aus der Nähe betrachtet
Der früh verstorbene Jesuit Anthony de Mello, bekannter spiritueller Meister
und Psychologe, war auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Seine kleinen
Geschichten voller Weisheit und Humor sind wahre Quellen zur
Selbsterkenntnis, weil sie uns auf liebenswürdige, aber deutliche Weise den
Spiegel vorhalten. So auch die folgende:
Eine Frau lästerte bei einer Freundin, die bei ihr zu Besuch war, dass ihre
Nachbarin keine gute Hausfrau sei.
Du solltest sehen, wie schmutzig ihre Kinder sind und ihr Haus. Es ist
beinahe eine Schande, in der Nachbarschaft zu wohnen. Sieh dir bloss mal
ihre Wäsche draussen auf der Leine an! Man erkennt deutlich die schwarzen
Streifen auf den Bettlaken und den Handtüchern. Die Freundin ging zum
Fenster und sagte: Ich glaube, die Wäsche ist ganz sauber, meine Liebe. Die
Streifen sind auf deinen Fensterscheiben!
Mit den Worten von Jesus heisst das:
Warum siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten, aber den Balken in
deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Nächsten
sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge ziehen! und dabei steckt in
deinem Auge ein ganzer Balken? Scheinheilig bist du! Zieh doch erst den
Balken aus deinem eigenen Auge, dann kannst du dich um den Splitter im Auge
eines anderen kümmern. (Mt 7,3-5)
Wenn ich darauf aus bin, bei meinen Mitmenschen vermeintliche und erst noch
kleine Fehler zu finden, dann sehe ich genauso wie die Frau in der
Geschichte den grossen blinden Fleck bei mir selber nicht mehr. Damit es
nicht so weit kommt, warnt Jesus davor, zu richten und zu verurteilen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch