Weg-Wort vom 29. Juli 2009
Sich selber annehmen
Das biblische Gebot der Nächstenliebe geht von der Voraussetzung einer
gesunden naturhaften Eigenliebe aus: Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst. Wer sich selbst nicht mag und respektiert, hat meist auch Mühe,
andere zu lieben und zu achten.
Eigenliebe ist nicht mit Selbstverliebtheit und Eitelkeit zu verwechseln.
Eigenliebe heisst: Ich nehme mich bedingungslos an mit meinen Stärken und
Schwächen. Ich bin im Frieden mit mir selbst. Ich feiere an guten Tagen
meine Freude und tröste oder verwöhne mich an schlechten Tagen. Ich bin gut
zu mir selbst. Ich verzeihe auch mir einen Fehler.
Darüber hat der Tiefenpsychologe C. G. Jung geschrieben: Das Einfachste ist
immer das Schwierigste. So ist das Sich-Selber-Annehmen der Inbegriff des
moralischen Problems. Dass ich den Bettler bewirte, dass ich dem Beleidiger
vergebe, dass ich den Feind sogar liebe im Namen Christi, ist unzweifelhaft
hohe Tugend. Was ich dem Geringsten unter den Brüdern tue, das habe ich
Christo getan. Wenn ich nun aber entdecken sollte, dass der Geringste von
allen, der Ärmste aller Bettler, der Frechste aller Beleidiger, ja der Feind
selber in MIR ist, ja, dass ich selber des Almosens meiner Güte bedarf, dass
ich mir selber der zu liebende Feind bin, was dann? Dann dreht sich in der
Regel die ganze christliche Wahrheit um, dann gibt es keine Liebe und Geduld
mehr.
Christus hat sich des Sünders angenommen und ihn nicht verdammt. Die Wahre
Nachfolge Christi wird dasselbe tun, und da man dem anderen nichts tun
sollte, was man sich selber nicht täte, so wird man sich auch des Sünders
annehmen, welcher man selber ist.
Durch Liebe bessert man, durch Hass verschlechtert man - auch sich selber.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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