Weg-Wort vom 22. Januar 2008
Liebe mich, auch wenn ich schmutzig bin!
Ein Wort des grossen Dichters Fjodor Dostojewski spricht mich immer wieder
an. Er sagt: Du aber liebe mich, auch wenn ich schmutzig bin, denn wenn ich
gewaschen wäre, liebten mich alle.
Wozu will uns dieses Wort bewegen? Ist es ein Hilferuf oder eine Bitte? Ein
weiser Rat oder eine törichte Zumutung?
Zur Banalität des Lebens gehört, das Gefällige zu mögen. Das Klare, Helle,
Reine spricht an und erfreut. Auch die Werbung will uns über die Schritte
schmutzig sauber- glücklich Produkte verkaufen. Und doch wissen wir im
Tiefsten alle, dass das weisseste Weiss nicht Ursache unseres Lebensglückes
sein kann.
Wir ersehnen etwas anderes: wir wollen angenommen werden, bejaht sein,
Zuwendung erfahren. Und das nicht einfach in den Glücksmomenten des Lebens,
nicht einfach dann, wenn wir Erfolg haben und gut dastehen. Vielmehr
wünschen wir uns angenommen zu sein, wenn wir versagt haben, wenn Zweifel
uns befallen, wenn wir an den dunklen Seiten leiden. Wir wissen um unsere
hellen und dunklen Seiten. Sie machen uns aus. Mit diesen verschiedenen
Seiten möchten wir uns angenommen wissen. Genau dies meint die Liebe in
seiner Ganzheit angenommen werden.
Was wir für uns selber erhoffen, erhoffen auch die anderen von uns. Du aber
liebe mich, auch wenn ich schmutzig bin. Zu jedem Menschsein gehört der
Schmutz in verschiedenen Ausgestaltungen: das Unperfekte, Holprige und
Aneckende. Davon dürfen wir uns nicht ablenken lassen. Wenn wir diese Seiten
beim andern annehmen, stossen wir auch zu den Schönheiten durch. Wir
entdecken nach und nach das Geheimnis, das Gott in ihm angelegt hat. Wir
entdecken seine einmalige Weise, Mensch zu sein mit den leuchtenden und
dunklen Seiten. Auf diesem Weg will uns das Wort von Dostojewski
herausfordern und Mut machen.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche