Weg-Wort vom 23. April 2008
Mit Gott ringen
Der Dichter Rainer Maria Rilke schreibt in einem Gedicht: Schwer ist zu
Gott der Abstieg... Gott lässt sich nicht wie leichter Morgen leben. Rilke
sagt hier in dichterischer Sprache, was alle Menschen ab und zu erleben, die
sich auf Gott einlassen. Gott ist nicht leicht zu verstehen. Die Geschichte
des Menschen mit Gott ist anstrengend. Früher oder später leidet der Mensch
an Gott. Rilke spricht von einem Abstieg, den der Mensch machen muss, um ihm
zu begegnen.
Einen solchen Weg hat der Apostel Paulus im Römerbrief nachgezeichnet. Er
ringt mit Gott. Er sieht den Menschen in seiner Gebrochenheit, seiner
Schwachheit und Sündhaftigkeit vor sich. Die Geschichte des einzelnen
Menschen und der Menschheit ist eine Geschichte mit viel Unheil und
Verblendung.
In seinem Ringen muss es Paulus plötzlich wie Schuppen von den Augen
gefallen sein. Wie die Sonne durch die dunkle Wolkendecke bricht, muss ihm
ein Licht aufgegangen sein. Er erkennt, dass die unheilvolle und verworrene
Geschichte der Menschheit durch Gottes Erbarmen aufgefangen wird. Der
Gedanke an das Erbarmen Gottes lässt ihn den Griffel aus der Hand legen und
einen Lobpreis auf Gottes Wunderwege anstimmen:
Wie unerschöpflich ist Gottes Reichtum!
Wie unerforschlich ist alles, was er tut!
Wie unausdenkbar sind seine Wege! (Röm 11,33).
Gott ist für Paulus wie ein unauslotbarer Abgrund. Sein Handeln übersteigt
alles menschliche Verstehen. Sein Reichtum kann nur erahnt und gepriesen
werden. Die Fülle seiner Möglichkeiten erschöpft sich nie. Gott hat
ungeahnte Wege, den Menschen zum Heil zu führen. Auch auf Irrwegen trägt er
die Menschen mit seiner Liebe und Vergebung; immer und überall wartet er mit
offenen Armen, dass der Mensch zu ihm zurückfindet.
Paulus hat Gott an einem ganz wesentlichen Punkt zu erfassen vermocht: Er
entdeckt den Gott des Erbarmens und vermag trotz vieler Unbegreiflichkeiten
einen Lobpreis auf ihn anzustimmen.
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