Weg-Wort vom 18. November 2009
Brachzeit
Bei jedem Schritt vor die Haustüre geht mein Blick zu den Bäumen, an deren
Zweigen die letzten braunen, welken Blätter hängen. Sie warten darauf, dass
der Wind sie mitnimmt, um kurz danach lautlos auf den Asphalt oder die Erde
zu fallen.
Auf den Maisfeldern liegen noch die Stängel, auch sie abgestorben und dem
Zerfall preisgegeben.
Unter dem grauen Novemberhimmel fühle ich mich oft wie ein fallendes Blatt,
nur schwerer. Da ist immer dieses Empfinden von Brachzeit. Für mich bedeutet
dies vermehrten Rückzug in die eigenen vier Wände, und auch Rückzug ins
Innere. Ich erlebe diese Zeit ambivalent. Meine Stimmung kann mich ähnlich
drücken wie die Schwere mehrerer Kleidungsstücke übereinander. Und doch ist
für mich diese Zeit kostbar, ja unentbehrlich. Ich bin dann wie ein
liegengelassener gepflügter Acker ohne Saat; ein Acker, dessen Boden sich
bereichern und Zeit für seine Bearbeitung und Düngung gewonnen werden soll.
Das Nichtbestellen des Feldes ist eine notwendige Pause zum Auftanken, zum
Kraft schöpfen aus der Tiefe. Ohne Sinn für das Brachliegende gedeiht das
Leben nicht.
Es ist wie mit den Samenkörnern, die man in ägyptischen Pyramiden fand:
Irgend jemand pflanzte sie ein, sie bekamen Wasser, Licht und Humus. Und zu
aller Erstaunen keimten die 5000 Jahre alten Körner und brachten neues Leben
hervor.
So dürfen wir darauf vertrauen, dass nach jedem Winter ein Frühling kommt,
auch wenn es manchmal lange dauert.
Unser Zutun beschränkt sich darauf, das Ausruhen und Geschehenlassen
anzunehmen, zu bejahen und ihm Raum und Zeit zu geben. Denn wenn wir den
Winter in uns und um uns herum nicht verdrängen, kann es auch wieder
Frühling werden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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