Weg-Wort vom 26. April 2010 „Mein Gesicht gehört den anderen“ Vor einigen Tagen las ich diesen Satz, der in mir sofort Widerspruch auslöste: Mein Gesicht gehört mir! Das geht doch niemanden sonst etwas an. Mit der Zeit allerdings entdeckte ich auch ein Körnchen Wahrheit darin: Mein Gesicht sehen in erster Linie ja meine Mitmenschen – ich selber täglich nur für kurze Zeit im Spiegel. Ich ertappte mich dabei, wie ich anfing, mein Gesicht zu beobachten: Wie es jetzt gerade wohl aussieht! Was meine Mitmenschen in meinem Gesicht wohl wahrnehmen. Aber auch: Wie ich versuchte, ein freundliches, wohlwollendes Gesicht zu machen. Ich war überrascht, wie der absichtlich hergestellte Gesichtsausdruck fast unmittelbar entsprechende Gefühle in mir wachrief. So, dass auch meine ganze innere Haltung plötzlich freundlich und wohlwollend war. Und – mir kamen immer mehr freundliche, wohlwollende Gesichter entgegen, im Zug, auf der Strasse, beim Einkauf… Ich erinnerte mich an die Geschichte von der kleinen Freude, die sich auf den Weg zu den Menschen machte, aber lange suchen musste, bis sie ein Gesicht fand, auf dem sie sich niederlassen konnte. Viele Menschen zeigen im Normalfall ein eher nichtssagendes, manchmal leicht mürrisches Gesicht, auch wenn es ihnen eigentlich gut geht. Ihr grundlegend positives Lebensgefühl wird durch ihr Alltagsgesicht zugedeckt. Es braucht darum oft nur wenig, um ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Man vergisst ja nur allzu leicht, auch sein Gesicht über das innere Fühlen zu informieren. Warum also nicht vermehrt das wachrufen, was in uns ohnehin schon vorhanden ist? Wie zum Beispiel unsere Lebensfreude, unsere Offenheit, unser Interesse und Engagement für andere, unsere Liebesfähigkeit, unser Einfühlungsvermögen in andere und in uns selbst? Wenn unsere Mitmenschen etwas davon in unserem Gesicht wahrnehmen, dann kann unser Gesicht gern ein bisschen auch den anderen gehören. Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag! Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche Roman Angst, Toni Zimmermann Iris Daus, Rolf Diezi © Bahnhofkirche. Hauptbahnhof Zürich www.bahnhofkirche.ch info(a)bahnhofkirche.ch