Weg-Wort vom 28. Januar 2009
Sich auf einander einstimmen
Ich liebe klassische Orchestermusik. Es ist für mich faszinierend zu
erleben, wie die verschiedenen Instrumentenstimmen sich in den
unterschiedlichsten Variationen stets zu einem harmonischen Ganzen fügen.
Jedes Instrument leistet dazu seinen ganz spezifischen Beitrag.
Doch bevor das Konzert beginnt, werden die Instrumente gestimmt. Das klingt
mitunter recht chaotisch und kakophonisch, so dass es weh tun kann in den
Ohren. Nach der Pause geschieht dasselbe noch einmal. Letzthin hatte ein
Liedermacher seine Gitarre während des Konzertes nach fast jedem zweiten
Lied neu gestimmt.
Dabei kam mir der Gedanke, wie es wäre, wenn wir uns wie die Musiker zu
Beginn einer jeder Begegnung, eines jeden Gespräches zuerst auf einander
einstimmen würden so lange, bis wir den richtigen gemeinsamen Ton gefunden
haben, bis wir mit einander im Einklang sind. Alles, was wir danach tun,
würde sich in verschiedensten Variationen stets neu zu einem Ganzen
zusammenfügen. Wozu jeder seinen spezifischen Beitrag leistet.
Vor Jahren habe ich das eindrücklich erlebt: Eine Gruppe von Asiaten wollte
ein Projekt realisieren und bat einige Schweizer um Unterstützung. Eine
Stunde lang sprachen sie wild durcheinander, für uns chaotisch und
undurchschaubar. Doch dann waren plötzlich alle offenen Fragen auf dem Tisch
und innerhalb einer halben Stunde besprochen und geklärt. Wir Schweizer
staunten ungläubig, worauf sie uns erklärten:
Das vermeintlich chaotische Gespräch diene ihnen dazu, die Haltung und
aktuelle Stimmung eines jeden Teilnehmers zu erspüren und sich darauf
einzustellen. Sie klärten so zu Beginn die Beziehungsebene, um danach frei
und unbelastet von persönlichen Misstönen die Sachfragen angehen zu können.
Der Ton, der Menschen zu einem stimmigen gemeinsamen Tun befähigt, ist vor
allem die Liebe. Sie ist der Grundton, der Massstab, der die
unterschiedlichsten Charaktere sich auf einander einstimmen lässt. Wie beim
Orchester geht es nicht darum, dass sich einzelne besonders hervortun. Die
unterschiedlichen Gaben und Fähigkeiten sind uns vielmehr geschenkt, damit
wir ihre Vielfalt aus der Grundhaltung der Liebe und des Respektes in ein
gemeinsames Ganzes einbringen (vgl. dazu 1Kor 12-13).
Sich zu Beginn einer jeder Begegnung, eines jeden Gesprächs auf einander
einzu-stimmen, kann darum heissen: sich stets von neuem der Haltung der
Liebe zu öffnen.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Beat Schlauri, Susanne Wey
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