Weg-Wort vom 26. April 2006
Der zweite Atem
Tief Luft holen! Dazu braucht es einen langen Atem. So sagen sich
manche, wenn sie vor einer Herausforderung stehen, die Geduld und
Durchhaltevermögen erfordert. Der Atem ist ein Bild für die Energie, die in
uns steckt, die uns ganz automatisch zufliesst wir wissen nicht woher.
Und dann gibt es immer wieder Tage, da sind wir furchtbar kurzatmig, so
richtig kraft- und saftlos, die einfachsten Dinge gehen uns schwer von der
Hand. Ausdauersportler beschreiben in diesem Zusammenhang das Phänomen des
zweiten Atems: Eine Energie, die ihnen zufliesst, während sie in einer
Durststrecke gerade mit dem Aufgeben kämpfen. Und dann geht es wider
Erwarten doch. Der zweite Atmen ist deswegen geradezu sprichwörtlich
geworden im realen, auch im übertragenen Sinn.
Vielleicht ist es Jesu Freunden nach seinem Tod genauso gegangen. Sie waren
begeistert mit Jesus unterwegs, schmiedeten Pläne für die Zukunft, wollten
die Welt verändern doch mit dem Tod Jesu schien alles aus zu sein. Die
ehemaligen Fischer kehrten zurück zu ihrer Arbeit an den See Tiberias, in
ihre alte Welt. Der biblische Text schildert ihren Zustand mit den Worten:
in dieser Nacht fingen sie nichts (Joh 21,3). In ihnen ist es Nacht,
dunkel; es quält sie die Frage: War alles umsonst?
Und da hinein geschieht das Wunder der Verwandlung! Da ist etwas geschehen,
das ihnen einen zweiten Atem gegeben hat, neuen Lebensmut; die Kraft, sich
aufzumachen und wider besseres Wissen oder wider allen Augenschein
aufzubrechen. Der zweite Atem, das waren intensive Erfahrungen, dass Jesus
auf neue Weise bei ihnen ist, dass sie vor einem neuen Anfang stehen.
Der zweite Atem, das sind die Erzählungen von anderen Begegnungen mit
Jesus: der Auferstandene begegnet den Frauen, beim leeren Grab im Garten der
Maria von Magdala. Den zwei Männern, die aus Jerusalem nach Emmaus weggehen.
Und seine Botschaft ist eine Botschaft, die Mut macht und neuen Atem, neues
Leben schenkt: Fürchtet euch nicht!
Die Berichte von solchen Begegnungen können auch bei uns heute erloschene
Leidenschaft wieder anfachen. Sie machen deutlich, dass es in unserem
Glauben zunächst nicht um Moral und Gesetzesvorschriften geht, sondern um
Hoffnung, Befreiung und Erlösung um neuen Atem.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche
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