Weg-Wort vom 22. April 2008
Die Liebe lernen
Viele Paare versichern einander: Ich liebe dich! Oder häufig hören wir:
Die Liebe ist das Grösste! Auch in allen Religionen ist das Liebesgebot
eines der gewichtigsten. Was aber heisst lieben? Wie können wir, sollen wir
lieben?
Eine chassidische Geschichte kann uns vielleicht auf eine Spur helfen. Rabbi
Mosche Löb erzählte:
Wie man die Menschen lieben soll, habe ich von einem Bauern gelernt. Der
sass mit anderen Bauern in einer Schenke und trank. Lange schwieg er wie die
anderen alle; als aber sein Herz von Wein bewegt war, sprach er seinen
Nachbarn an: Sag du, liebst du mich oder liebst du mich nicht? Jener
antwortete: Ich liebe dich sehr. Er aber sprach wieder: Du sagst: ich
liebe dich, und weisst doch nicht, was mir fehlt. Liebtest du mich in
Wahrheit, du würdest es wissen. Der andere vermochte kein Wort zu erwidern,
und auch der Bauer, der gefragt hatte, schwieg wieder wie vorher.
Ich aber verstand: Das ist die Liebe zu den Menschen, ihr Bedürfen zu spüren
und ihr Leid zu tragen.
Wenn wir jemanden lieben, dann sind wir bereit, nicht nur auf das
Bezaubernde in ihm zu schauen und uns davon begeistern zu lassen. Vielmehr
führt uns das Begeisternde dahin, uns für die Person zu interessieren für
ihre Licht- und ihre Schattenseiten. Die Liebe flieht nicht vor den dunklen
Situationen des Andern. Vielmehr ist sie bereit, diese zu ergründen und
mitzutragen.
Gott macht es nicht anders. Er ist Aug und Ohr für sein Volk. So lesen wir
im 2. Buch Mose: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen ...;
ich kenne ihr Leid (2. Mose 3,7). Nicht immer konnte er sofort Abhilfe
schaffen, aber er ist in den dunklen Erfahrungen dem Volk nahe geblieben,
gemäss seiner Verheissung: Ich bin mit euch! (vgl. Mt 28,29). Bis heute
ist dies Ausdruck seiner Liebe zu uns Menschen geblieben.
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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