Weg-Wort vom 5. Mai 2011
Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint
Kürzlich konnte die älteste Bewohnerin der Schweiz ihren 107. Geburtstag
feiern. In Interviews werden hochbetagte Menschen immer nach ihrem
persön-lichen Rezept für das hohe Alter gefragt. Unter den
meist genannten Antworten findet sich das tägliche Glas Rotwein ebenso wie
die viele Arbeit, aber auch ein massvolles Leben.
Nicht so bei dieser Jubilarin. Sie sagte schlicht, sie habe ihr Leben immer
als Geschenk Gottes gesehen. Er habe ihr dieses Leben gegeben. Deswegen habe
sie auch immer Sorge dazu getragen, das Geschenk Leben in Ehren gehalten,
auch wenn es durchaus manches Schwere gegeben habe.
Szenenwechsel. Ein Interview in der Zeitschrift Surprise, dem
Strassen-magazin. Ein ehemaliger Junkie, jetzt Verkäufer von Surprise,
erzählt aus seinem Leben, wie er immer tiefer in den Drogensumpf abrutschte,
wie mühsam der Ausstieg war, den er erst nach mehreren Anläufen schaffte,
wie sein Leben danach nun aussieht und was es ihm bedeutet. Er erzählt
ungeschönt und nachdenklich. Ohne den da oben hätte ich das alles nicht
geschafft, so kaputt, wie ich war, sagte er. Beim Lesen sah ich ihn
förmlich vor mir, wie er den Kopf drehte und mit erhobenem Arm in Richtung
Himmel zeigte. Er fängt mich auf, wenn mal wieder Gefahr im Anzug ist und
hilft mir wieder auf die Beine.
Die Gewissheit, die aus seinen Äusserungen zu hören war, berührte mich tief.
Er hätte ja auch sagen können: Irgendwann bin ich aufgewacht und habe
realisiert, jetzt oder nie. Ich habe meinen inneren Schweinehund überwunden.
Ich bin das beste Beispiel dafür, dass man es schaffen kann, wenn man nur
will.
Aber das sagte er nicht. Auch die alte Frau sagte nicht, wie schwer sie ein
Leben lang gekrampft hat. Nein, Beide verweisen auf einen, der unsichtbar
aber wirkmächtig als unser Lebensbegleiter mitgeht und mitträgt.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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