Weg-Wort vom 21. Oktober 2009
Zeige deine Wunde
Die Geschichte aus dem Evangelium ist bekannt: Da sitzt ein Mann am
Ausgangstor der Stadt Jericho, es ist der Blinde mit Namen Bartimäus. Von
ihm wird erzählt, dass er ungebührlich schreit, als er hört, dass Jesus
vorbeikommt. Aber er ruft nicht, was wahrscheinlich alle Leute rufen, wenn
ein berühmter Mann kommt: Viva il Papa! Super, Hakan! Roger, Roger! Nein, er
ruft:
Sohn Davids! Hab Erbarmen mit mir! (Mk 10,47)
Das stört die Feierlichkeit. Die Leute werden ärgerlich, aber Jesus hört
diesen Schrei: Holt ihn her! Und was macht er, als man den Blinden zu ihm
führt? Er sagt: Was willst du, dass ich dir tun soll? Rabbuni, ich möchte
wieder sehen können.
Der deutsche Pastoraltheologe Rolf Zerfass meint dazu, Jesus beurteile
Bartimäus nicht von aussen, nicht seine Blindheit, Er nehme ihn ernst als
einen Menschen, der selbst sein Elend am besten kennt und reden kann. Er
sagt nicht: Pass auf, knie dich mal hin, und dann heile ich dich. Nein,
Jesus sagt zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen!
Geh, es ist schon alles gut. Dieses verzweifelte Schreien nenne Jesus schon
Glauben. Und weiter:
Wenn wir einen von sich reden hören, schöpfen wir schnell Verdacht: Das ist
ein Egozentriker
Ob wir nicht vielleicht zuwenig von dem sprechen, was uns
drückt?
Weil wir das immerzu wegstecken, runterschlucken, statt es herauszusagen,
offenzulegen. Es gibt einen Glauben, der gesund macht. Das ist der Glaube
von Menschen, die wissen, was ihnen wehtut, und den Mut haben, dies vor Gott
auszusprechen
Wir leben in einer Gesellschaft, die uns davon ablenkt, zu
spüren, wo die eigenen Wunden sind. Die Erzählungen des Evangeliums sind
aufgezeichnet worden, weil das, was sie erzählen, bis heute an uns
geschieht.
Jesus fragt: Was willst du, das ich dir tun soll? Zeige deine Wunde! Sind
wir darauf vorbereitet? Oder murmeln wir: Ich bin doch hier, um dich zu
preisen.
So schön es ist, in der Gemeinschaft des Gottesdienstes mit den
andern zusammen zu sein,
entscheidend ist, ob wie dadurch zu uns selbst
kommen, dahin, wo unser Schmerz sitzt. Dann ist Heilung möglich. Dann ist
sie schon in Gang: Dein Glaube hat dir geholfen, gehe hin in Frieden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Iris Daus
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