Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 25. August 2021
Twitter und Trauer
Ich bin wirklich berührt. Und überrascht. Vor einigen Wochen ist ein Mann unerwartet und
früh verstorben, der auf Twitter sehr aktiv war und mehrere tausend Followers hatte. Eine
Gruppe dieser Followers beschloss, in verschiedenen Städten der Schweiz Kondolenzbücher
aufzulegen und die Community einzuladen, Beiträge in diesen Büchern zu gestalten. In
Zürich stellte sich die Bahnhofkirche dafür zur Verfügung.
Ich gestehe, dass ich nicht erwartet habe, was dann geschehen ist: dass fast jeden Tag
Menschen vorbeigekommen sind und sich viel Zeit für Ihren Eintrag genommen haben, und dass
so viel Betroffenheit und Trauer spürbar wurde. «Wir haben uns zwar nie persönlich
kennengelernt, aber...» Nicht wenige Statements beginnen so, und die Schreibenden
schildern dann, wie viel der Verstorbene ihnen durch den regelmässigen Austausch bedeutet
hat, und dass sie seine Beiträge vermissen. Im virtuellen Raum ist Nähe und Beziehung
entstanden, die bewegt. Mein Vorurteil war, dass solche Kontakte unverbindlich bleiben und
ein Tod bedauernd zur Kenntnis genommen wird, aber nicht mehr. Und nun: Nicht nur in
Zürich, auch in Bern, Aarau, Basel sind Menschen an die Gedenkorte gegangen. Weil es ihnen
wichtig war. Und die Trauer ist in diesem Fall kein Ereignis mehr, das ein Dorf oder eine
Familie betrifft, sondern sie geschieht schweizweit. Das ist beeindruckend. Und es wirft
Fragen auf. Menschen lernen sich zunehmend auf Social Media kennen, werden zu
Freund*innen. Damit wird uns auch Trauer im Netz weiterhin begleiten. Stehen wir am Beginn
neuer Trauerformen, die beide Welten brauchen, die virtuelle und die physische - wie es
die berührende Erfahrung der letzten Wochen nahelegt - die aber nicht mehr nur an Wohnorte
und dortige Kirchen gebunden sind, sondern eben überkantonal, vielleicht gar übernational
verortet sind? Die Initiant*innen der Kondolenzbücher haben einen stimmigen Beitrag zu
solchen neuen Formen geleistet. Ihnen gebührt Dank!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Abbildung: PixLoger. Pixabay.
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