Weg-Wort vom 5. Dezember 2007
In die Mitte stellen
Wenn es uns nicht gut geht, wenn Probleme anstehen oder wir uns selbst nicht
ausstehen können, verschliessen wir uns gern und ziehen uns in unser
Schneckenhaus zurück. Wenn das andauert, fühlen wir uns mit der Zeit leer,
wie ausgetrocknet, innerlich verdorrt.
In der Bibel wird von einem Mann berichtet, dessen Hand verdorrt war (Mk
3,1-6). Vor allen Leuten sagte Jesus: Steh auf und stell dich in die
Mitte! Dann liess er ihn die Hand ausstrecken, und sie wurde wieder gesund.
Es fällt auf, dass Jesus ihn zuerst aufforderte, sich in die Mitte zu
stellen, sich zu zeigen in seiner Verletztheit, mit seiner Schwäche. Erst
dann wurde seine ausgestreckte Hand gesund.
Wir können seelisch erst gesunden, wenn wir aufstehen aus unserer
Verschlossen-heit, die uns von uns selbst wegführt und uns unsere Mitte
verlieren lässt. Wenn wir uns zeigen auch mit unseren Schwächen und dem
Versagen, mit unseren Verletzungen und unserer Bedürftigkeit. Wenn wir sie
nicht verdrängen und verbergen, sondern in die Mitte stellen - in die Mitte
unserer eigenen Achtsamkeit und in die Mitte einer verstehenden, liebevollen
Beziehung.
Sich selbst annehmen und angenommen werden in der ganzen Bedürftigkeit, kann
heilend sein und wahre Wunder bewirken. Es ist wie eine Erlösung, eine
Befreiung aus Schwere und Druck. Es setzt die an die Verdrängung gebundenen
Energien frei, und wir können uns mit freien Händen und neuen Kräften dem
Leben zuwenden.
Die besinnliche Adventszeit ist eine Gelegenheit, uns in die Mitte zu
stellen, die Gott selber ist. Darauf weist auch das folgende Gebet von
Pierre Stutz hin:
Wo
dich suchen
wenn nicht im tiefsten Seelengrund
als allerinnerste Mitte meiner Existenz
Dich finden
im Lernen mich selber zu verstehen
im solidarischen Wagnis
Menschenrechte einzufordern
auch wenn der Applaus ausbleibt
und ich Rufer in der Wüste bleibe
In dieser Gratwanderung hast du
Worte ewigen Lebens
Worte
die mich auf mich selber zurückwerfen
die mich aufhorchen lassen
die mich einfühlsamer werden lassen
die zum Hier und Jetzt
angesichts der Ewigkeit ermutigen
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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