Weg-Wort vom 11. Oktober 2006
führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen
Eine seltsame Bitte! Wie wenn Gott uns in Versuchung führen könnte! Oder ein
Fallensteller ist, der uns auf die Probe stellt, ob wir denn die uns
gewährte Freiheit missbrauchen!
In der Muttersprache Jesu lautet der ursprüngliche Sinn dieses Verses:
Bewahre uns in der Versuchung! Lass uns nicht der Versuchung erliegen!
Dies entspricht auch der Aussage im Jakobusbrief: Wenn ein Mensch in
Versuchung gerät, soll er nicht sagen: Gott hat mich in Versuchung geführt.
So wie Gott nicht zum Bösen verführt werden kann, so verführt er auch
niemand dazu. Es ist die eigene Begehrlichkeit, die den Menschen ködert und
einfängt. (Jak 1,13f)
Die Begehrlichkeit, die Gier des Menschen ist demnach die Versuchung, aus
der das Böse wächst. Die Schlange, die in der Schöpfungsgeschichte (Gen 3)
Adam und Eva verführt, ist das Symbol für die Selbstherrlichkeit des
Menschen: Ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und was schlecht
ist. Es ist die Haltung, selber über Gut und Böse entscheiden zu wollen.
Das eigentlich Böse entsteht also im Menschen wenn er den Baum des Lebens
in der Mitte des Gartens nicht respektiert und sich selbst zum Mittelpunkt
macht, zum Mass aller Dinge.
Am Anfang des Vaterunser steht der dringliche Wunsch Jesu, dass Gottes Reich
der Liebe sich schon hier und jetzt entfalte. Er wusste aber auch um die
grundlegenden und stets wiederkehrenden Gefährdungen des Menschen, sich von
Gott und seiner Liebe abzuwenden sei es zum Beispiel in der
selbstgefälligen Überschätzung des eigenen Menschseins, in der ängstlichen,
sich selbst schlecht machenden Gottesfurcht oder in der überheblichen
Werkgerechtigkeit.
Darum die dringende Bitte, der Hilferuf Jesu:
Lass mich nicht im Stich, wenn die Versuchung über mich kommt. Lass nicht
zu, dass ich mich abwende von dir und deiner Liebe. Rette mich, entreiss
mich der Macht des Bösen, der gierigen Kraft des Negativen in mir. Befreie
mich aus dem Teufelskreis des wie du mir, so ich dir. Erlöse mich vom
Zwang, alles immer im Griff haben zu müssen, dass alles immer so geschehen
soll, wie ich es will.
Halte mich trotz all meiner inneren Versuchungen in deinem Reich der Liebe
und der Freiheit.
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