Weg-Wort vom 13. September 2007
Begabt und charmant
Angst haben wir alle schon erfahren. Sie gehört zu unserem Leben und hat
eine ganz wichtige Funktion. In gewissen Situationen ist sie ein Warnsignal.
Da will sie uns auf Gefahren aufmerksam machen und vor Unbedachtem schützen.
Es gibt aber auch andere Ängste, die vielleicht diffus sind und in allem
Gefahr wittern. Aus Angst einer Situation nicht gewachsen zu sein,
überlassen wir das Handeln anderen. Wir ziehen uns zurück. Angst ist dann
lähmend und hinderlich.
In seiner Antrittsrede als Präsident von Südafrika thematisiert Nelson
Mandela eine weit verbreitete Form der Angst, die er als unsere tiefste
entlarvt. Er sagt:
Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir der Sache nicht gewachsen sind.
Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich reich sind. Es ist unser
Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen uns: Wer bin
ich, dass ich leuchtend, hinreissend, begnadet und fantastisch sein darf?
Wer bist du denn, es nicht zu sein? Wenn du dich klein machst, dient das der
Welt nicht. Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du schrumpfst, damit
andere um dich herum sich nicht verunsichert fühlen. Wenn wir unser Licht
erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis,
dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben, wird unsere
Gegenwart ohne unser Zutun andere befreien. (Gekürzter Auszug aus seiner
Antrittsrede 1994)
Auf den ersten Blick überrascht uns vielleicht diese Sichtweise. Doch wenn
wir in unser Leben schauen, erinnern wir uns sicher auch an Momente, in
denen wir Angst hatten, unsere Fähigkeiten ganz einzubringen, sie zum
Leuchten zu bringen. Es dient aber uns und der Welt nicht, wenn wir unsere
Gaben unterdrücken. Erst wenn wir sie anerkennen und nutzen, können wir auch
die Begabungen der andern schätzen und müssen nicht neidisch auf sie
schauen.
Eine solche Lebensweise stützt Gott. Im Evangelium werden wir ermutigt,
unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen (Mt 5,14-16) und unsere
Talente nicht zu vergraben (Mt 25, 14-30). Die Welt braucht unsere Talente,
unsere Ausstrahlung und unsern Charme! Das alles ehrt Gott, den grossen
Geber aller Gaben.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche