Weg-Wort vom 4. November 2008
Von Horizont zu Horizont
Manchen Menschen ist nicht bewusst, welche grundlegenden Einstellungen zum
Leben sie haben. Sie handeln und entschei-den aus dem Moment heraus. Einige
haben ihre Lebensprinzipien ein für allemal festgelegt ohne sie je wieder
zu hinterfragen.
Andere hingegen stellen sich immer wieder in Frage. Denn was einmal
hilfreich war und sich bewährte, kann sich in veränderten Verhältnissen als
hemmend, ja blockierend erweisen. Sie überprüfen darum von Zeit zu Zeit ihr
In-der-Welt-sein:
Wer bin ich? Was ist mir wichtig in meinem Leben? Was gehört wesentlich zu
mir? Was bedeuten mir meine Mitmenschen? Mein Beruf? Mein Glaube?
Für den Theologen Heinz Zahrnt führen uns solche grundlegenden Sinnfragen
von Horizont zu Horizont. Im Fragen vollzieht sich für ihn die Lichtung des
Daseins:
Der Lernprozess des Fragens fängt stets beim Allernächsten an. Selbst die
radikalste Frage nach dem letzten Sinn des Ganzen nimmt ihren
Ausgangspunkt immer vom Einzelnen und Konkreten, von einem gegebenen Anlass
und einem realen Ding. Noch niemals ist es so gewesen, dass sich einer, das
Kinn auf die Hand gestützt, hingesetzt, um sich geblickt und dann gefragt
hätte: Was ist der Sinn des Lebens und der Welt?
Die Sinnfrage wird am Fliessband oder am Sarg, mitten unter der Arbeit,
anlässlich einer beruflichen Panne oder angesichts einer menschlichen
Begegnung gestellt, ja meistens wird sie gar nicht bewusst gestellt, sondern
kommt auf, wie ein Schiff am Horizont ...
Immer führt eine Frage zur anderen, und mit jeder Frage weitet sich der
Horizont. Im Fragen vollzieht sich für uns die Lichtung des Daseins. Dabei
ist das Wort Lichtung im realen Sinne zu nehmen: Im Weiterschreiten der
Fragen von einer zur anderen bis hin zur Frage nach dem Sinn des Ganzen und
im entsprechenden Weiterwandern des Horizonts bis hin zum letzten, alles
umgreifenden Horizont weitet sich uns das Dasein und hellt sich auf.
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Hauptbahnhof Zürich
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