Weg-Wort vom 3. November 2009
Mit dem Herzen hören
Niemand hört einem mehr richtig zu! Ich versteh das nicht! Und die Frau
fuhr fort, sich zu beklagen: Wenn ich etwas von mir erzähle, dann geht
niemand darauf ein. Die meisten berichten dann etwas Ähnliches von sich oder
was ihnen assoziativ dazu gerade einfällt. Viele unterbrechen mich sogar
mitten in meinem Erlebnisbericht, ohne auf den eigentlichen Höhepunkt meiner
Erzählung zu warten.
Ich war spontan versucht, mit das kenne ich auch zu antworten und eine
eigene Geschichte zu erzählen. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten und
sie fragen, welche Reaktion sie denn von ihren Zuhörern erwarte.
Eigentlich gar nicht so viel, meinte sie. Ich möchte nur wissen, ob ich
gehört und verstanden worden bin, und ein bisschen Interesse an mir und
meinem Erleben spüren. Ihr genüge dazu eine kurze persönliche Stellungnahme
wie zum Beispiel: Da hast du dich sicher darüber gefreut oder geärgert.
Oder: Das hat dich traurig gemacht, dir weh getan. Oder eine Rückfrage wie:
Und wie geht es dir damit? Was bedeutet das jetzt für dich?
Und wie hören Sie zu? war meine nächste Frage. Sie zögerte eine Weile und
meinte dann beschämt, dass sie andere auch oft mit ihren eigenen
Erfahrungsberichten unterbreche. Und sie beschloss, sich zuallererst selber
im richtigen Zuhören zu üben, so wie sie es von anderen für sich wünschte.
Wenn ich möchte, dass sich andere von mir gehört und verstanden fühlen, muss
ich mit dem Herzen hören. Erst das Ohr des Herzens lässt mich über den
eigenen Schatten springen. Lässt mich darauf verzichten, vorschnell
einzugreifen, zu unterbrechen, Ratschläge zu erteilen oder meine eigenen
Geschichten das habe ich auch schon durchgemacht zum Besten zu geben.
Ich weiss ja von mir selber, dass jeder seine Geschichte als einzigartig
respektiert wissen möchte.
Mit dem Herzen hören lerne ich vor allem dann, wenn ich mich daran
erinnere, wie es für mich war, als ich mich selber von jemand anderem gehört
und verstanden fühlte, als jemand mit seiner Aufmerksamkeit, seinem
Mitdenken und -fühlen eben mit seinem Herzen ganz bei mir war.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorger und Seelsorgerinnen der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Iris Daus, Susanne Wey
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