Weg-Wort vom 27. Oktober 2008
Die grossen Dinge des Lebens
Menschen fragen immer wieder nach dem Sinn des Lebens. Sie möchten, dass ihr
Leben eine Bedeutung hat in dieser Welt, dass es sich gelohnt hat, wenn sie
einmal gehen müssen. Der berühmte polnische Pianist Arthur Rubinstein (1887
1982) entdeckte erst nach einer tiefen Verzweiflung, wofür es sich für ihn
zu leben lohnte:
"Als junger Mann war ich einmal sehr verzweifelt, ganz auf Null. Ich hatte
kein Geld, konnte das Hotel nicht bezahlen; ich war nicht verliebt; mit
meinen Eltern war ich ganz auseinander. Meine Karriere schien am Ende. Alles
ging schief. Ich war zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt, und ich wollte
mich erhängen. Aber es ging nicht. Sie sehen, ich lebe noch! Nachher, als
ich auf die Strasse kam, fühlte ich mich als neuer Mensch. Ich sah die Welt
mit anderen Augen an. Ich sagte zu mir:
'Was bist du doch für ein Dummkopf! Was macht es denn, wenn du ins Gefängnis
kommst, weil du die Schulden nicht bezahlen kannst? Im Gefängnis kannst du
an die Musik denken. Vielleicht bekommst du ein Buch zu lesen. Du kannst an
die Liebe denken. Du kannst alles mögliche tun. Niemand kann dir das Denken
nehmen. Du kannst ein neues philosophisches System aushecken. Und so
weiter.' Ich dachte weiter: 'Auch wenn du krank wirst und ins Spital musst,
lebst du immer noch, und du kannst wieder gesund werden.'
Sehen Sie, das Leben hat so wunderbare Dinge für uns bereit: Blumen, Musik,
Poesie, Bücher, Gedanken, Liebe. Das kann uns niemand wegnehmen. Ich habe
eine merkwürdige Gewohnheit: Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich aufstehe,
dass ich noch sehen kann, hören kann, riechen kann: dass ich noch alle Sinne
besitze; dass ich noch gehen kann. Das sind doch wunderbare Geschenke! Es
könnte ja auch anders sein.
Gut, auch damit müsste ich mich abfinden. Aber man muss doch ein bisschen
dankbar sein. Wir sind so undankbar. Wir haben alle unsere Sinne. Aber wenn
einem Mann hundert Franken fehlen, um Kaviar oder etwas anderes Unnötiges zu
kaufen, dann schimpft er und findet das Leben scheusslich. Wir jammern über
Kleinigkeiten und sehen nicht die grossen Dinge, die uns geschenkt sind."
Mit freundlichen Grüssen Ihre
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Hauptbahnhof Zürich
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