Weg-Wort vom 17. November 2011
Spätherbst
Die sonnigen Herbsttage sind vorbei. Die farbige Pracht der Bäume und Wälder
ist verblasst. Die Blätter fallen und bilden auf Wiesen und Strassen einen
raschelnden Teppich. Das kalte, neblige Novemberwetter schlägt mir aufs
Gemüt und weckt in mir Wehmut und Trauer. Es erinnert mich an die
Vergänglichkeit des Lebens und an die Menschen, die mir der Tod entrissen
hat.
Das Herbstlaub ruft mir ein Gedicht von Rainer Maria Rilke in Erinnerung,
das ich erstmals auf einer Inschrift auf dem Jesuitenfriedhof von Bad
Schönbrunn gelesen habe:
Herbst
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh die andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Den sanften Händen dieses Einen dürfen wir unsere lieben Verstorbenen
anvertrauen. Und hoffen, Gott möge auch unser eigenes Sterben einmal
unendlich sanft in seinen Händen auffangen.
Ich erinnere mich an das Wort eines sterbenden Patienten: Angst vor dem Tod
habe ich nicht. Nur vor der Ungewissheit, wie lange ich hier noch auf diese
Weise aushalten muss. Wenn ich sterbe, falle ich nicht tiefer als in SEINE
Hände. Dieses Vertrauen tröstet mich und hellt meine düstere
Novemberstimmung auf.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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