Weg-Wort vom 1. Dezember 2011
Brachzeit
Heute beginnt die (meteorologische) Winterzeit. Brachzeit hat man früher
gesagt. Auf den ersten Blick eine tote Zeit. Auf den zweiten Blick aber eine
Zeit zum Ausruhen und Kräftesammeln. In der Natur zieht sich das Leben der
Pflanzen in Knollen und Zwiebeln zurück. Tiere halten Winterschlaf in Höhlen
und Nestern. Bäume und Sträucher ruhen aus.
Als es die Elektrizität noch nicht gab, verbrauchte sich der Mensch im
Sommer in 16 Stunden Arbeit, aber er schlief dafür in langen Winternächten
bis zu 12 Stunden. Da hat er wieder Distanz gewinnen können, den Sommer
verarbeiten, Pläne schmieden, der Phantasie Raum geben. Er hat Stille
gefunden zum Nachdenken, zum Erinnern.
Daran krankt unsere Gesellschaft, dass wir verkehrt schlafen, d.h. im Sommer
und Winter bis tief in die Nacht arbeiten oder fernsehen, um dann dafür am
Wochenende bis in den Tag hinein zu schlafen. Weil der Leistungsbogen über
das ganze Jahr hinweg gespannt sein muss und die winterliche Brachzeit
verloren gegangen ist.
Brachzeit ist keine tote Zeit. Unter der gefrorenen Erde liegt verborgenes
Leben, das sich aufs Blühen und Früchtetragen vorbereitet. Wir brauchen die
Brachzeiten, die Brachminuten am Tag, die Momente der Stille, die Zeit zum
Nachdenken, zum Verarbeiten von intensiven Erlebnissen.
Die Adventszeit bietet dazu einen besonderen Rahmen - wenn wir uns nicht vom
vorweihnächtlichen Stress beherrschen lassen.
In unserem Leben und in unseren Beziehungen liegt - leider - manches brach.
Vielleicht ist es aber noch nicht ganz tot und abgestorben. Vielleicht
besteht noch Hoffnung. Vielleicht ist noch Leben in den Wurzeln. Vielleicht
sind schon Knospen an den Zweigen, die wieder aufbrechen möchten.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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