Weg-Wort vom 14. Oktober 2010
Überzeugende Fragen
Unter Bertold Brechts Geschichten von Herrn Keuner findet sich auch die
folgende:
"Ich habe bemerkt", sagte Herr K., "dass wir viele abschrecken von unserer
Lehre dadurch, dass wir auf alles eine Antwort wissen. Könnten wir nicht im
Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz
ungelöst erscheinen?"
Eine Liste der Fragen aufzustellen, auf die wir keine Antwort wissen, könnte
auch der Glaubwürdigkeit unserer christlichen Lehre gut tun. Zum Beispiel:
Warum gibt es so viel Ungerechtigkeit, Elend und Leid in der Welt? Warum
musste dieser Mensch so früh sterben? Was geschieht mit uns nach dem Tod? Es
gibt so viele bedrängende Fragen, auf die unser Glaube keine Antwort gibt.
Gerade wir Theologen und Prediger fühlen uns gerne als Geheimräte Gottes,
die mehr von Gott begriffen haben als andere Leute, während doch nach
einem Wort von Karl Rahner - die wahren Theologen die sind, die besser
begriffen haben als andere Menschen, dass Gott unbegreiflich ist. Spätestens
wenn wir als Seelsorger am Bett eines Krebskranken oder am offenen Grab
einer früh verstorbenen Mutter stehen, fehlen uns glaubhafte Worte.
Unser Glaube beantwortet nicht alle unsere bedrängenden Fragen. Er kann uns
aber Kraft und Geduld geben, unsere ungelösten Lebensfragen auszuhalten in
der Hoffnung, dass Gott eine Antwort weiss und uns einmal eine Antwort gibt.
In diese Richtung weisen uns die Worte des Dichters Rainer Maria Rilke:
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können!
Lebe jetzt die Fragen!
Vielleicht lebst du dann allmählich
ohne es zu merken
eines fernen Tages
in die Antwort hinein.
Welche Einsichten werden mir vielleicht heute schon geschenkt?
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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