Weg-Wort vom 10. Juli 2006
Sich getragen wissen
In prachtvollen Farben und Formen lag das Korallenriff etwa zwei Meter unter
mir im klaren Wasser. Buntfarbige Fische schossen mal dahin, mal dorthin.
Ganze Schwärme zogen ihre wilden Kreise. Langsam und ruhig schwamm ich
umher, um das leuchtende Leben unter mir in vollen Zügen zu geniessen.
Auf einmal war ich, ohne es richtig zu bemerken, leicht über den Rand des
Riffes hinausgeschwommen, als mein Blick plötzlich ins Bodenlose fiel. Ich
erschrak und ruderte instinktiv mit den Armen rückwärts, bis ich wieder
Boden unter mir sah. Erst als ich mich selbst vergewissert hatte, dass mich
das Wasser so oder so trägt, über dem bodenlosen Meer genauso wie über dem
Riff, konnte ich mit einer leisen Überwindung weiterschwimmen.
Diese Situation kam mir in den Sinn, als mir ein etwa vierzigjähriger Mann
berichtete, wie er sich am Abgrund seines Lebens stehend von Gott verlassen
fühlte. Er hatte von Kindheit an immer für sich, für seine Familie und für
die Welt gebetet. Das tat er besonders, als er vom bevorstehenden
Stellenabbau in seiner Firma hörte. Dennoch traf es ihn mit voller Härte.
Monatelang haderte er mit seinem Schicksal und mit Gott. Als deswegen auch
seine Ehe zerbrach, fühlte er sich vollends von Gott verlassen.
Mit dem Glauben aber ist es wie mit dem Schwimmen über dem bodenlosen Meer.
Er bewahrt uns nicht vor dem Unglück und den Abgründen des Lebens. Im
Glauben aber weiss ich mich immer getragen und gehalten von meinem Gott,
auch wenn ich keinen Boden unter meinen Füssen mehr habe und keinen Halt
mehr sehe. Was immer mir passieren wird, welche Abgründe sich mir auch
auftun, nichts und niemand kann mir die Gnade meines Glaubens nehmen.
Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder
Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch
irgendeine andere Kreatur können uns trennen von der Liebe Gottes. (Röm
8,38f)
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