Weg-Wort vom 21. Dezember 2009
Geheimnis Weihnachten
Im Abendgebet der Bahnhofkirche waren eine Handvoll Christen, ein Moslem und
ein Buddhist anwesend. Zum Abschluss bedankte ich mich bei allen für die
Erfahrung, dass Menschen verschiedener Religionen so selbstverständlich im
gleichen Raum und zu gleicher Zeit beten können. Alle nickten mir freundlich
zustimmend zu.
Eine Frau begleitete mich ins Gesprächszimmer. Sie habe sich noch nie so
klar als Christin erlebt wie gerade eben. Neben einem Moslem und einem
Buddhisten zu beten, habe sie in ihrem Selbstverständnis als Christin ganz
unverhofft gestärkt. Hier in der ökumenischen Bahnhofkirche, die
gastfreundlich offen ist für Menschen aller Konfessionen und Religionen,
fühle sie sich jeweils wie nirgends sonst mit allen Christen auf der ganzen
Welt verbunden. Das entspreche ganz ihrem Verständnis von Religion. Eine
solche Möglichkeit habe sie jahrelang gesucht.
Kaum war sie gegangen, meldete sich der Buddhist. Er bedankte sich für die
Möglichkeit, dass er hier immer wieder mitten in der Hektik des Tages in
Ruhe auf dem Boden sitzend meditieren könne, ja dass er damit die Christen
offensichtlich nicht einmal während ihres Abendgebetes störe.
Der Moslem bedankte sich mit Tränen in den Augen: Er habe sich in seiner
Religion noch nie so akzeptiert und ernst genommen erlebt wie gerade eben.
Er komme oft hierher und sei so dankbar für die Offenheit, dass dieser Raum
Menschen verschiedener Religionen zur Verfügung stehe. Er überreichte mir
eine Schale voll Süssigkeiten mit den Worten: Ich möchte damit die
Bahnhofkirche Anteil nehmen lassen an unserem Opferfest, das wir gerade
feiern.
In drei Tagen feiern wir Weihnachten, das Fest der Erinnerung an das Kommen
Gottes in unsere Welt, an seine Menschwerdung: Seither spricht Gott
menschlich zu uns. Er begegnet uns in unseren Mitmenschen. Er kann uns in
jedem Menschen ansprechen gleich welcher Religion, Hautfarbe oder
Nationalität, ob alt oder jung, Frau oder Mann, arm oder reich.
Es fällt mir immer wieder schwer, im rüpelhaften Jugendlichen, in der sich
vordrängenden Frau, im nur auf seinen Vorteil bedachten Banker Geschöpfe
Gottes zu sehen, sie in ihrer von Gott gegebenen Menschenwürde anzunehmen.
Doch jedes Mal, wenn es mir gelingt, spüre ich etwas vom weihnächtlichen
Frieden in mir, erahne ich etwas vom Geheimnis von Weihnachten.
Wir wünschen Ihnen einen guten und gesegneten Tag!
Die Seelsorgenden der Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
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