Weg-Wort vom 21. Januar 2008
Manchmal besucht mich meine Traurigkeit
Sie hatten ihre gemeinsame Pensionierung schon lange vorbereitet. Was sie
sich schon seit Jahren für diese Zeit aufgehoben hatten, war bereits fest
geplant. Und dann der unverhoffte Tod ihres Mannes!
Sie ist auch nach über einem Jahr noch nicht darüber hinweg. Die Gefühle der
Leere, der Einsamkeit und Enttäuschung drängt sie zurück. Nur manchmal kann
sie weinen, wenn sie allein ist. Sie müsse doch tapfer sein und ihr Leben
wieder in den Griff kriegen, meint sie. Sie hatte gelernt, sich zu
beherrschen. Sogenannt negative Gefühle als ungehörig zu betrachten. Schon
gar nie wütend zu sein.
Es brauchte lange, bis sie lernt, dass auch unangenehme Gefühle zum
Menschsein gehören, dass sie gelebt werden wollen. Ja, dass sie uns
eigentlich Freunde, bzw. Freundinnen sind. Denn auch sie sind von Gott
geschaffen! Es kommt nur darauf an, dass wir mit ihnen leben und wie wir mit
ihnen angemessen umgehen.
Das folgende Gedicht von Andrea Schwarz mag zeigen, wie wir zum Beispiel
unsere Traurigkeit umarmend annehmen können:
gestern Abend
war sie
wieder da
meine Traurigkeit
sie hatte sich
nicht angemeldet
hatte nicht
an der Tür geklopft
plötzlich stand sie
einfach da
und schaute mich
nur an
und ich
schaute weg
wandte
mich ab
aber sie
kennt mich
kennt mich gut
meine Traurigkeit
sie ist da
schaut mich an
und berührt mich
und zitternd
stehe ich still
und lass mich
berühren
lass mich
von meiner Traurigkeit
umarmen
und umarme
meine Traurigkeit
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
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